(gk)„Klinik-Beschäftigte werden Sparopfer“, titelte das Stader Tageblatt, als der Aufsichtsrat der Elbe Kliniken die Kündigung der Mitgliedschaft im Kommunalen Arbeitgeberverband Niedersachsens zum 31.12.2007 beantragte und damit den Ausstieg aus der Tarifbindung. Neben Airbus und Dow Chemical sind die Elbe Kliniken mit ihren Standorten in Stade und Buxtehude der größte Arbeitgeber in der ansonsten strukturschwachen Region: Insgesamt 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Die GmbH ist zu 100 Prozent in kommunalem Besitz des Landkreises und der Stadt Stade.
Der Zeitungstitel war wegweisend: Von Jahr zu Jahr erhöht sich der Abstand zwischen den Löhnen, die eigentlich nach Tarif gezahlt werden sollen und denen, die die Beschäftigten der Elbe Kliniken erhalten. Je nach Eingruppierung verdienen die Beschäftigten über 300 Euro weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen, die noch in kommunalen Krankenhäusern mit Bindung an den Tarif für den öffentlichen Dienst (TvÖD) arbeiten. 78.000 Überstunden sind ein deutlicher Hinweis für den Personalmangel und damit de facto auch die Gefährdung der medizinischen Versorgung in der Region. Viele Pflegekräfte ziehen es vor im nahegelegenen Hamburg zu arbeiten, wenn sie die Wahl haben. Dort sind die kommunalen Kliniken nach wie vor in der Tarifbindung.
Die Arbeitsbedingungen sind hart in den Elbe Kliniken: Es kommt vor, dass Kolleginnen nach fünf Tagen Nachtschicht aufgefordert werden, wieder zur Spätschicht zu erscheinen. Offiziell müssten die Ruhezeiten zwischen den Diensten aber mindestens zehn Stunden betragen. „Niemand darf krank werden, ohne dass eine ganze Station in Not gerät“, so eine Mitarbeiterin aus dem Pflegebereich. Die Beschäftigten gingen, berichten die Betriebsratsvorsitzenden in Stade und Buxtehude, „bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit“ und verzichteten ständig auf freie Tage. Das führt zu Unmut und Protestaktionen, zuletzt im Frühjahr dieses Jahres.
Kommunale Tarifflucht
Geschäftsführer Siegfried Ristau führt die untertarifliche Bezahlung auf die äußeren Rahmenbedingungen, die Unterfinanzierung der Krankenhäuser, zurück: z.B. die zu niedrigen Fallpauschalen, die von den Krankenkassen gezahlt werden. Diese berechtigte Kritik sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch innerhalb des Elbeklinikums wenig Transparenz über Gehaltsstrukturen gibt und die Notlage auf Kosten der Pflegekräfte und anderer Beschäftigter, z.B. in der Sterilisation, Transport, Verwaltung und Küche ausgetragen wird. „Entgelterhöhungen werden einseitig vom Aufsichtsrat festgesetzt und liegen weit unter dem, was nötig wäre, um die Lücke zum TVÖD zu schließen“, so die ver.di Gewerkschaftssekretärin Erika Czerny-Gewalt.
Bereits im Oktober 2015 verschickte eine Gruppe besorgter Bürger und Mitarbeiter der Elbe Kliniken einen „Brandbrief“ an den Aufsichtsrat der Elbeklinken und Politiker im Landkreis und der Stadt Stade. Sie monierten, dass diese Situation schon viele Jahre andauere – mit der „erstaunlichen Unterstützung des Betriebsratsvorsitzenden“ in Stade. „Wir denken, dass diese Form einer einseitigen Tarifflucht über jetzt bald ein Jahrzehnt in einem kommunalen Unternehmen einmalig ist und fragen uns wie es sein kann, dass die Aufsichtsratsgremien der Elbe Kliniken es zulassen, dass [..] über so viele Jahre eine reguläre und überall im Land gezahlte Bezahlung vorenthalten wird“, heißt es in dem Brandbrief. Verantwortlich dafür machen sie eine „unheilige Allianz aus Geschäftsführung, Betriebsratsvorsitz und Aufsichtsrat“. Außerdem kritisierte der Brief mangelnde Transparenz, willkürliche Personalentscheidungen und Ämterpatronage in den Elbe Kliniken.
Mit dem Brief befasste sich nur der Aufsichtsrat. Landrat und Stadtrat, die als Eigentümer die Verantwortung für die Elbe Kliniken tragen, hüllten sich in Schweigen. Work Watch hat einige Kritikpunkte aus dem Brandbrief aufgegriffen, ergänzt um die Einschätzungen mehrerer Mitarbeiter des Elbeklinikums und der zuständigen Gewerkschaftssekretärin, und vor wenigen Wochen Aufsichtsratsmitglieder, Geschäftsführung und Politiker um die Beantwortung einiger Fragen gebeten. „Kritik ist grundsätzlich eine Form der kostenlosen Fortbildung und wird geschätzt“, so der Geschäftsführer Sigfried Ristau in seinem Antwortschreiben, es erfolge ein „konstruktiver Umgang mit kritischen Mitarbeitern“.
Der Aufsichtsrat habe sich, so der Vorsitzende und Landrat des Kreises, Michael Roesberg, in seiner Antwort mit den „Anschuldigungen und Vorwürfen“ des Brandbriefes befasst. „Insgesamt wurde festgestellt, dass die anonymen Anschuldigungen und Vorwürfe haltlos waren“, dem Geschäftsführer sei das „volle Vertrauen“ ausgesprochen worden. Er wundere sich über die „offensichtlich unkritische Übernahme von diversen Anschuldigungen Dritter“ durch work-watch und appellierte an uns auf die „Beschwerdeführer“ einzuwirken, „damit sie sich einmal offen erklären“. Was wir natürlich nicht getan haben, denn work-watch fühlt sich dem journalistischen Quellenschutz verpflichtet.
Die Bürgermeisterin der Stadt Stade, Silvia Nieber (SPD), stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, schloss sich der Stellungnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden Roesberg an work-watch an, ebenso der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises, Oliver Grundmann (CDU).
Immerhin: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte, angeregt durch das Schreiben von work-watch, eine Sondersitzung des Kreisausschusses und wollte den Geschäftsführer der Elbe Kliniken einladen. Sie sorgten sich auch um die Versorgungssicherheit der Patienten in der Region. Aber zu einer „offenen Erklärung“ von Siegfried Ristau kam es nicht. Landrat Roesberg, gewählt als parteiloser Kandidat für die CDU, wies den Antrag auf eine Sondersitzung zurück, zusammen mit seiner Fraktion und der SPD, also der Mehrheit des Gremiums.
Feudale Zustände
Die Begründung: Durch die Ausgliederung der Elbe Kliniken 1998 in eine GmbH trage der Kreistag keine Verantwortung mehr, so die Vertreter von SPD und CDU. Der Widerspruch der Grünen: Die Kliniken „seien nicht Eigentum der SPD und der CDU oder der Bürgermeisterin oder des Landrats, sondern im Eigentum des Landkreises und der Stadt Stade“, kritisiert die Oppositionspartei, deshalb seien deren Gremien „in voller Verantwortung für die Klinken und gehalten, die Interessen der Patienten und des Personals zu vertreten“.
Die Sondersitzung wäre dringend notwendig gewesen, denn „nach allen bisherigen Informationen, die unsere Fraktion erreicht haben, ist der Aufsichtsrat weder fähig noch willens, die Probleme bei den Elbe Kliniken wirklich anzugehen“, so die Grünen in einer Pressemitteilung. Betriebsangehörigen, mit denen sie gesprochen haben, fehle „das Vertrauen in diesen Aufsichtsrat“, vielmehr sei „Angst weit verbreitet, bei jeglicher Kritik mit arbeitsrechtlichen Schritten bestraft zu werden“. Transparenz sei erforderlich, „die Zeiten der Geheimräte sind vorbei“, erinnern die Grünen an Zustände während des Feudalismus.
Auch das Stader Tageblatt greift den Konflikt um die Elbe Kliniken regelmäßig auf. „Es gibt immer wieder Situationen, dass es Beschäftigte oder ehemalige Beschäftigte gibt, die unzufrieden sind. Das gilt auch für die Elbe Klinken“, antwortete Landrat Roesberg auf die Frage der Lokalzeitung nach der Unterbezahlung der Pflegekräfte. „Dass die Elbe Kliniken wirtschaftlich arbeiten müssen, liegt aber auf der Hand. Das Geld, was Beschäftigte als Entlohnung bekommen, muss auch verdient werden. Aufsichtsrat und Geschäftsführung kümmern sich seit Jahren darum, dass es Lohnsteigerungen gibt.“
Nun haben die Elbe Kliniken in den vergangenen Jahren Profite erzielt: 2013 und 2014 einen Jahresüberschuss von acht Millionen Euro. Im Vergleich zu anderen Krankenhäusern in Niedersachsen, von denen etwa die Hälfte rote Zahlen schreibt, ist das beachtlich, auch wenn die Summe angesichts der Personalkosten von 104 Millionen Euro im Jahr gering erscheint. „Herr Ristau ist ein sehr guter Geschäftsführer und es ist ein Glücksfall, dass wir ihn haben“, meint jedenfalls Silvia Nieber, Stades Bürgermeisterin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Elbe Kliniken. Es gibt auch eine andere Perspektive: „Offensichtlich hat man sich über Jahre auf Kosten der Beschäftigten, insbesondere im Pflegebereicht, gesund gespart“, gibt Reinhard Elfring von den Grünen zu bedenken. Das Geld wird reinvestiert – allerdings „in Beton und nicht in Köpfe“, kritisieren Mitarbeiter der Kliniken.
Auch deren wichtigster Interessenvertreter, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Elbeklinken, antwortete auf das work-watch-Schreiben und legte seine Stellungnahme zum Brandbrief bei, den er als „anonyme Schmähschrift“ bezeichnete. Die letzte reguläre Betriebsversammlung in den Stader Kliniken, wo er Betriebsratsvorsitzender ist, hat 2011 stattgefunden, berichten Mitarbeiter der Elbekliniken. Im Januar 2015 gab es lediglich einige Dienstversammlungen, in denen über die Rückführung von 400 Pflegekräften einer ausgelagerten Dienstleistungsgesellschaft zurück zu den Elbekliniken informiert wurde.
Mit 1750 Beschäftigten ist Stade der größte Standort der Elbe Kliniken. Eigentlich sind laut Betriebsverfassungsgesetz vier reguläre Versammlungen im Jahr vorgesehen, auf denen die wirtschaftliche Situation und Entwicklung des Betriebes, das Sozial- und Personalwesen zur Diskussion gestellt werden. Die Beteiligung sei, so der Gesamtbetriebsratsvorsitzende, zu gering, deshalb „werden Betriebsversammlungen nach Bedarf abgehalten“. Der Informationspflicht komme der Betriebsrat „insbesondere über das monatlich erscheinendes Infoblatt“ nach.
„Am BR-Vorsitzenden kommt man nicht vorbei“, erzählen Mitarbeiter der Elbe Kliniken in Stade. Der Mann ist politisch sehr gut vernetzt: In seiner Doppelfunktion als Betriebsrat und SPD-Abgeordneter im Stadtrat – und nach der Kommunalwahl am 11.September vielleicht auch noch im Kreistag – sieht er „keinen Interessenkonflikt, sondern die noch bessere Möglichkeit zur Wahrung von Arbeitnehmerinteressen auch im politisch gestaltenden Raum.“ Sein „Arbeitsstil“ sei „eher konsensorientiert und weniger laut“, das gebe „Andersdenkenden immer wieder Anlass zur Kritik“. Dazu zählt er in seinem Antwortschreiben auch die nach den Betriebsratswahlen 2014 neu ins Gremium eingezogene Liste „Zeit, dass sich was dreht“. Die Konflikte innerhalb des Betriebsrates hätten seitdem ein „Ausmaß erreicht, welches ich in mittlerweile 24 Jahren Betriebsratstätigkeit noch nicht erlebt habe“.
Sein Ziel sei es jedenfalls, beteuert der Gesamtbetriebsratsvorsitzende und Arbeitnehmermitglied im Aufsichtsrat der Elbeklinken, „attraktive Arbeits- und Vergütungsbedingungen“ für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Elbe Kliniken herzustellen, „daran arbeiten wir als gewählte Arbeitnehmervertreter ständig mit, wobei die finanzielle Ausstattung dem Unternehmen deutliche Grenzen setzt“.
Fürstliches Geschäftsführergehalt
Grenzen, die jedoch nicht für das Gehalt des Geschäftsführers Ristau gelten. Der 2013 geänderte Geschäftsführervertrag, der Work-Watch vorliegt, vergütet Siegfried Ristau schon jetzt mit knapp 290.000 Euro jährlich, einschließlich 20 Prozent „fixer“ Tantiemen. „Fixe“ Tantiemen sind ein Widerspruch in sich, denn Tantienem orientieren sich normalerweise am wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens und sind deshalb variabel. Darüber hinaus sind enorme Steigerungen des Jahresgehaltes vorgesehen, so dass Siefried Ristau bei seinem Ausscheiden in 14 Jahren 465.000 Euro verdient – üblich sind 190.000 Euro für Geschäftsführer kommunaler Kliniken, so eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum.
Desweiteren legt der Vertrag 70 Prozent des Gehaltes als Übergangsgeld fest, sollte der Geschäftsführer vor der regulären Zeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden und 65 Prozent seines letzten Gehaltes als Altersruhegeld, zuzüglich der „fixen“ Tantiemen – jährlich 302.000 Euro bis 2050.
Der Geschäftsführervertrag ist abgesegnet vom Aufsichtsrat, Mitglied ist neben dem Landrat des Kreises und der Bürgermeisterin der Stadt Stade auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Insgesamt wird Siegfried Ristau bis zu 12,4 Millionen Euro von den Elbeklinken bekommen. Und er hatte zeitweise weitere Einkommen: Er war 2014/2015 als Interims-Geschäftsführer der Ostemed-Kliniken in Zeven und Bremervörde eingesetzt, die vor wenigen Wochen zu 51 Prozent von den Elbe Kliniken übernommen worden sind.
Ein fürstliches Gehalt für den Geschäftsführer, Niedriglöhne und Überstunden für die Beschäftigten: Ändern wird sich daran nur etwas, wenn sich die Mitarbeiter wehren. Aber der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Elbe Kliniken ist gering: In Stade liegt er unter fünf Prozent, in Buxtehude unter zehn. „Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende und einige andere Betriebsratsmitglieder sind zwar ver.di – Mitglieder und engagieren sich bei bundesweiten Aktionen“, so die Gewerkschaftssekretärin Erika Czerny-Gewalt, aber die Gewerkschaft als Interessenvertretung sei in den Kliniken ansonsten „wenig präsent“.
In den Ostemed-Klinken in der Nachbarschaft, bei denen sich die Elbe Kliniken eingekauft haben, sieht das anders aus: Knapp die Hälfte der Beschäftigten ist gewerkschaftlich organisiert. Es gab einen Haustarifvertrag, der über dem Lohnniveau der Elbekliniken lag, und der nun gekündigt ist. Eine organisatorische Einheit werden die Elbe- und Ostemedklinken voraussichtlich nicht bilden, sondern zwei verschiedene Aufsichtsräte sollen über die GmbHs wachen. Bei den Ostemed-Kliniken werden die Beschäftigten einen neuen Haustarifvertrag erwarten – ob die Geschäftsführung der Elbe Kliniken als Mehrheitseignerin dafür grünes Licht gibt und dadurch möglicherweise Begehrlichkeiten bei den Beschäftigten der Elbe Kliniken weckt, steht auf einem anderen Blatt.
Immerhin sind für dieses Jahr auch bei den Elbe Kliniken in Stade seit langer Zeit wieder reguläre Betriebsversammlungen angekündigt und die Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft der beiden Klinken planen eine gemeinsame Versammlung, um mangelnde Transparenz, Überstunden, Unterbezahlung und andere Missstände anzugehen. „Ich wünsche mir viel mehr gewerkschaftliches Engagement“ so die Gewerkschaftssekretärin Erika Czerny-Gewalt, die auf eine rege Beteiligung bei der Versammlung hofft. Ihr Ziel sei es, „mittelfristig wieder eine Tarifbindung hinzubekommen“. Die Mehrzahl der Betriebe in ihrem Betreuungsbereich – Altenheime, Wohlfahrtsverbände, Kliniken – seien nicht tarifgebunden. Deshalb hätte eine Tarifbindung bei den großen Elbe-Kliniken „Vorbildcharakter“ für die anderen Betriebe. „Aber solange der Mitgliederbestand dort nicht erheblich steigt, werden wir den Arbeitgeber nicht zu Tarifverhandlungen auffordern können“, erklärt die Gewerkschaftssekretärin, „wir wären nicht durchsetzungsfähig. Die Beschäftigten haben es also selber in Hand, wieder zu Tarifverträgen zu kommen“.