Schmeißen Sie die Werbeheftchen in Ihrer Tageszeitung sofort weg? Dann sollten Sie diesen Artikel unbedingt lesen. Oder machen Sie es umgekehrt? Stöbern Sie gern in den Werbebeilagen? Dann müssen Sie diesen Artikel erst recht lesen. Denn dann wissen Sie, was mit den Leuten passiert, die diese Einlagen Nacht für Nacht in Ihre Zeitung stecken. Jedenfalls, wenn sie als Angestellte der Firma STS (unter dem Firmendach von TMI Service GmbH) arbeiten. Zum Beispiel in Düsseldorf, für die Rheinische Post. Oder in Aachen, für die Aachener Zeitung. Zwei von 10 Standorten, in denen STS mit dieser Dienstleistung beauftragt wird.
STS als Teil der TMI-Service GmbH ist ein Dienstleister. Für Zeitungen und Verlage erledigt das Unternehmen Zu- und Hilfsarbeiten, übernimmt Arbeitsbereiche in der Drucklegung und der An- und Ablieferung, die das Kernunternehmen gerne loswerden will und dafür am Ende weniger Geld zahlen möchte als bisher. Die Stammbelegschaft der Verlage, die lange Zeit an diesen Dauerarbeitsplätzen tätig war, wird auf diese Weise Stück für Stück auf die Straße gesetzt. So wirbt TMI auch:
„Gemeinsam mit Ihnen schaffen wir den Rahmen für schlanke Konzepte! Wir optimieren Ihre Ergebnisse mit unserer Kompetenz in den Bereichen Personal, Arbeitsrecht…“1
Was „schlank“ bedeutet und wie sich die TMI-„Kompetenz“ in Personaldingen und im Arbeitsrecht auswirkt, das bekommen die 1.400 Beschäftigten der TMI-Unternehmen täglich zu spüren. Aufs Unangenehmste:
„Schlanke“ Tagelöhner
Fast die Hälfte der Beschäftigten von STS/TMI in Aachen und in Düsseldorf arbeitet als Tagelöhner mit einem jeweils auf einen einzigen Tag befristeten Vertrag. Diese Beschäftigten werden trotzdem regelmäßig und über längere Zeiträume, oft über Jahre, als Produktionshelfer eingesetzt. Das geht aus den Schichtplänen hervor, die uns vorliegen. Grundlegende Rechte wie das Recht auf Lohnfortzahlung oder Urlaub bzw. Urlaubsgeld werden den Tagelöhnern vorenthalten. Wer also krank wird, darf hungern. Das ist billiger für STS/TMI wie auch für ihre Auftraggeber.
Bloß ist das alles illegal. Denn bei den immer wieder befristeten Tagesverträgen handelt es sich um unerlaubte Kettenarbeitsverträge. Die gesetzliche Pflicht, z.B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zu leisten, darf so nicht ausgehebelt werden. „Kompetenz“ im Arbeitsrecht!?
Die Rechtsverletzung wird auch nicht dadurch besser, dass die Mitarbeiter von STS unterschreiben müssen, der Vertrag sei auf eigenen Wunsch, „auf Wunsch des Mitarbeiters“, so formuliert. Sie haben ja gar keine Wahl – entweder sie unterschreiben oder sie gehen nach Hause.
Die überwiegende Mehrheit der Tagelöhner bei STS sind ausländische Studenten, die sich in finanziell außerordentlich schwierigen Situationen befinden. Nutzt STS/TMI deren Notlage und mangelnde Rechtskenntnis bewusst aus?
Die anderen, „festen“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von STS/TMI arbeiten auf Basis von Teilzeitverträgen. Deren Besonderheit ist, dass in ihnen keine Mindestarbeitszeit festgelegt ist. Die Beschäftigten können sich also nicht sicher sein, wie viel sie im Monat mindestens verdienen. Ihr Einkommen schwankt, z.T. so stark, dass sie hilfebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuches II („Hartz IV“) werden.
STS/TMI „bestimmt“ (so der Arbeitsvertrag) einseitig, „an welchen Tagen der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung zu erbringen hat, sowie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit“. Mit diesem ungewöhnlich weit gefassten Direktionsrecht kann STS/TMI seinen Beschäftigten nach Belieben die Arbeitszeiten diktieren. Das erschließt sich noch aus einer weiteren Passage des Arbeitsvertrages, nach der sich die Mitarbeiter „verpflichten, die Arbeitsleistung im Rahmen der gesetzlichen Höchstgrenze im Bedarfsfall für die Firma zu leisten“. Damit verweigert STS/TMI seinen Beschäftigten das ihnen zustehende Recht, Überstunden auch ablehnen zu können, ohne dadurch Nachteile zu erleiden.
Der Rechtsbrüche sind das noch nicht genug: Die Arbeiten der Produktionshelfer, die fast ausschließlich in den Nachtstunden stattfinden, müssten mindestens mit einer Nachtschichtzulage von 25 Prozent vergütet werden (so die herrschende Rechtsprechung). Von STS/TMI werden nur 10 Prozent gezahlt (in Aachen), in Düsseldorf sind es 15 Prozent. Kümmerlich, zumal der Lohn für die „fest“ angestellten Produktionshelfer in Aachen seit über 10 Jahren nicht erhöht wurde und immer noch 7,70 Euro beträgt; in Düsseldorf zahlt das Unternehmen stolze 8 Euro.
Mobbing und Willkür
Diese wahrscheinlich rechtsungültigen Arbeitsverträge öffnen Mobbing und Willkür Tür und Tor. In Düsseldorf, so unsere Informanten, verteilt der dortige Schichtleiter Andreas W. in trauter Gemeinschaft mit Betriebsleiter Ralf D. Arbeitsstunden nach dem Nasenprinzip: wen er zu seinen Kritikern rechnet, dem werden die Arbeitsstunden reduziert. Wer pariert, kann mit mehr Stunden rechnen. Dabei muss man ziemlich hart im Nehmen sein, wenn man nicht in Ungnade fallen will. Denn W. nutzt seine Position gnadenlos aus. Er bestellt sich z.B. gern mal eine Jacke oder eine Uhr über das Internet und zwar auf den Namen und auf Rechnung von Untergebenen. Die zahlen zähneknirschend – und W. freut sich über ein neues kostenloses Kleidungsstück. Dafür schreibt er den so Betrogenen als Belohnung auch dann mal ein paar Stunden auf, wenn sie zuhause krank auf dem Sofa liegen. Dass er für sich selbst ebenfalls reichlich nicht geleistete Arbeitsstunden aufschreibt, so belegen die uns vorliegenden Dokumente, macht den Missbrauch rund. Die Rheinische Post zahlt ja.
Der Auftraggeber zahlt auch und merkt offensichtlich nicht einmal, dass W. Monat für Monat Hunderte teurer Europaletten außer Haus schafft und verscherbelt. Ein preiswertes Zubrot, über das andere Mitarbeiter die Geschäftsleitung von STS bzw. TMI schon informiert haben. Genauso wie über den Stundenbetrug. Aber das hatte bislang keine Folgen. Jedenfalls nicht für W. Möglicherweise hätte der, sollte STS ihn rausschmeißen, zu viel auszuplaudern…
Behinderung des Betriebsrates
So weitherzig die geschäftsführenden Gesellschafter und Inhaber von TMI bzw. die Personalleiterin von STS gegenüber Leuten wie W. sind, so engherzig agieren sie gegenüber anständigen Beschäftigten.
So wurde der Betriebsratsvorsitzende in Aachen allein an einem einzigen Tag acht Mal abgemahnt. Dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden wurde zu kündigen versucht (seine Klage gegen diese Kündigung wird er wohl gewinnen), seine Lebensgefährtin wurde gekündigt und befindet sich seit dem in einem sogenannten Prozessarbeitverhältnis; sie kann zwar weiter arbeiten, wird aber nur noch wenige Stunden eingesetzt und verdient statt früher 1.100 Euro nur noch die Hälfte.
Auch die ehemalige Betriebsratsvorsitzende in Düsseldorf wurde mehrfach abgemahnt, mit Hausverbot belegt und im Beisein des Betriebsleiters sogar rassistisch beschimpft. Im Düsseldorfer Arbeitsgericht ist STS bereits ein Stammkunde, weil solche Attacken gegen kritische Betriebsräte natürlich vom Gesetz nicht gedeckt werden. Aktuell ist ein Verfahren anhängig, weil STS vor der Betriebsratswahl im Mai 2014 zahlreiche Anhänger der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden gekündigt und zur Wahl nur diejenigen „Tagelöhner“ zugelassen hat, von denen man annahm, sie würden für die gegnerische Liste aus Schichtleitern und anderen Führungskräften stimmen. Eine Rechnung, die aufging: die Schichtleiterliste bekam in dieser Wahl die Mehrheit im neuen Betriebsrat. Aber das genau dürfte Wahlbetrug sein – das Arbeitsgericht wird im Juli darüber entscheiden.
Um das Maß bezüglich Betriebsratsbehinderung vollzumachen, hat STS in Düsseldorf eine Betriebsanweisung erlassen, nach der den Beschäftigten der freie und jederzeitige Zutritt zum Betriebsratsbüro untersagt wird – vermutlich auch das ein glatter Rechtsbruch und eine Verletzung der Bestimmungen im Betriebsverfassungsgesetz. Mitarbeiter, die dennoch den Betriebsrat aufgesucht haben, wann es ihnen passte, wurden von der Personalleitung mit Abmahnung und Kündigung bedroht.
Kalte Füße in Aachen?
Die Personalleiterin von STS, Bianca Grewe, hatte auch in Aachen die Betriebsratswahlen zu beeinflussen versucht. Im Vorfeld der Wahlen hat sie die Beschäftigten davor gewarnt, ihre Stimmen erneut den bisherigen, die Mehrheit bildenden Betriebsratsmitgliedern zu geben. Der Auftraggeber, so hieß es, werde seinen Auftrag zurückziehen, würde die Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat bleiben. Trotzdem sind die Wahlen zugunsten der alten und neuen Mehrheit ausgefallen. Nun, so die Personalleiterin, müsse die Belegschaft auch die Konsequenzen ihres Wahlverhaltens tragen. STS wurde tatsächlich Ende 2014 vom Auftrag der Aachener Zeitung entbunden.
Ob die Aachener Zeitung ihre Zusammenarbeit mit STS aufgegeben hat, weil work-watch den Verlag über die Machenschaften im Hause ihres Auftragnehmers informiert hat, wissen wir nicht. Denn weder dieses Unternehmen noch STS hat auf eine einzige der vielen konkreten Fragen, die wir gestellt haben, jemals eine konkrete Antwort gegeben. Aussitzen und wegducken scheint die Devise.
Pikant ist übrigens, dass die Personalleiterin von STS, Bianca Grewe, Rechtsanwältin ist und in einer Weiterbildungseinrichtung bundesweit Schulungen für Betriebsräte gibt. Erfreulicherweise hat die Einrichtung, nachdem work-watch sie über die Personalpolitik von Bianca Grewe bei STS informiert hat, die Zusammenarbeit mit ihr bis auf weiteres storniert.
1Nachzulesen auf der Website von TMI: http://tmi-service.eu/management-und-beteiligungen/; in einem kleinen Werbefilmchen gibt das Unternehmen in diesem Sinne ausführlicher Auskunft: tmi-service.eu/app/download/5785292428/TIM_Druckhaus.wmv