(gk) Nicht Masse, sondern Klasse: So hätte das Motto des letzten von insgesamt vier Gerichtsterminen am 12.11.2015 vor der 9.Kammer des Hessischen Landesarbeitsgericht in Frankfurt lauten können (Aktenzeichen 9 TaBV 44/15).
Um die Legitimität des „gelben“ Betriebsrats nachzuweisen, hatten die Anwälte des Konzerns ein knappes Dutzend Zeugen angemeldet, fast ausschließlich Führungskräfte und außertarifliche Beschäftigte aus dem Personalmanagement, der Medizinischen-, Produktions- und IT-Abteilung. Die ehemalige Betriebsratsmehrheit, die die Wahlen vom vergangenen Jahr anficht, hatte nur noch eine Zeugin für den letzten Gerichtstermin benannt, eine ehemalige Chefsekretärin.
Der damalige Personalleiter Martin Schöne und der damalige Geschäftsführer Gunther Niederheide, so der Vorwurf, hätten gegen die Neutralitätspflicht verstoßen, weil sie gegen den amtierenden Betriebsrat aufgewiegelt hätten. Unter anderem hätte Personalleiter Schöne bei einem Betriebstreffen von Führungskräften und außertariflich Beschäftigten geäußert, wer diesen Betriebsrat wähle, „begeht Verrat am Unternehmen“ (work-watch berichtete).
Die Entlastungszeugen hätten auch im Chor auftreten können, mit dem Anwalt Bernd Weller von der Großkanzlei Heuking Lüer Kühn Wojtek und Anwalt Peter Krebühl von der Kanzlei Pflüger als Dirigenten. Keiner der Zeugen hatte diesen Ausspruch „wahrgenommen“ oder konnte sich daran „erinnern“. Alle beteuerten unisono, dass eine solche Wortwahl auch gar nicht dem sonstigen Auftreten des Personalleiters entsprochen hätte. „Eine solche Äußerung passt nicht zu Herrn Schöne“, hieß es. Er hätte sich vielmehr jeder Kommentierung enthalten, einer seiner Mitarbeiter habe lediglich das Wahlverfahren vorgestellt und zur Beteiligung an den Betriebsratswahlen aufgerufen. „Herr Schöne war in seinen Darstellungen immer neutral und hat nie Partei ergriffen“, so der Tenor. Einige der Entlastungszeugen blickten während ihren Aussagen immer wieder in Richtung der neuen Personalchefin, der neuen Betriebsratsvorsitzenden und den oben genannten Anwälten, um sich so deren Zustimmung zu versichern.
Im Kontrast zu dieser Inszenierung gab der Auftritt der einzigen Belastungszeugin, die seit knapp 30 Jahren für den Konzern arbeitet, ein Beispiel für Glaubwürdigkeit und Authentizität. Sie durchbrach die Mauer des Schweigens. Die offensichtlichen Erinnerungslücken vieler Zeuginnen und Zeugen schon bei den vorherigen Gerichtsterminen, darunter „hochintelligente Mitarbeiter“, hätten ihr „Angst gemacht“. Denn sie befürchtete „Konsequenzen“, sollte sie „wahrheitsgemäß“ berichten. Deshalb habe sie mit dem neuen Geschäftsführer Dietmar Leitner und ihrem direkten Vorgesetzten über ihre Aussage gesprochen. Beide hätten ihr zugesichert, sie solle ruhig die Wahrheit sagen. Und ihre Wahrheit unterschied sich so sehr von den Aussagen der Entlastungszeugen: Die Botschaft des Personalleiters Schöne auf dem Betriebstreffen sei für sie „starker Tobak“ gewesen. Auch sie habe sich über dessen Auftreten gewundert und gerade deshalb sei ihr das Wort „Verrat“ in guter Erinnerung geblieben und nannte Namen weiterer Mitarbeiter, die das ebenfalls gehört haben.
Tjark Menssen, der Anwalt der ehemaligen Betriebsratsmehrheit, konfrontierte eine der Entlastungszeuginnen außerdem noch mit einer eidesstattlichen Versicherung einer Freundin, der gegenüber die Zeugin in einem Telefonat nach dem Betriebstreffen entgegen ihrer Aussage vor Gericht geäußert habe, „geschockt gewesen zu sein“ über Verbalattacken des Personalchefs gegen den amtierenden Betriebsrat. Die Zeugin gestand anschließend ein, die Zitate der eidesstaatlichen Versicherung entsprächen „der Tendenz des Treffens“.
Richter Rainer Bram, der zudem noch ein von fünf Mundipharma-Juristen verfasstes Memorandum vorliegen hatte, in dem das sogenannte „Scheunentreffen“ protokolliert ist und die Interventionen der Geschäftsführung belegt sind, ließ sich von der Inszenierung der Konzernvertreter nicht täuschen. Er erklärte die Wahl für ungültig. Sie muss also wiederholt werden. Allerdings – und das ist der Wermutstropfen – erst, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Da eine Berufung vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt zugelassen wurde, könnten bis dahin noch Jahre vergehen.
Unterdessen gehen die Attacken gegen die Belegschaft des Pharma-Konzerns weiter: Geplant sind u.a. faktische Zwangsversetzungen von AußendienstmitarbeiterInnen und Abänderungen von Betriebsvereinbarungen – etwa zum Datenschutz und Prämienzahlungen – die unter dem alten Betriebsrat zu Gunsten der Beschäftigten erstritten worden sind und mit dem neuen Betriebsrat wieder zurückgedreht werden sollen.
Rechtsanwalt Menssen, der zugleich Leiter der Rechtsabteilung der DGB Rechtsschutz GmbH ist, hofft auf ein positives Signal für die Beschäftigten, das von dem Urteil ausgeht. Nämlich dass „nun die Jahre der Angst und der Einschüchterung der Belegschaft bei Mundipharma vorbei“ seien. Er könne sich vorstellen, „dass der unglaubliche Einsatz für die Interessen der Belegschaft der früheren Betriebsratsvorsitzenden und deren beiden Mitstreiter“ den anderen ein Beispiel sei und diese sich nun ebenfalls engagieren und in der Gewerkschaft organisieren. Rechtsanwalt Menssen will außerdem ein Strafverfahren nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz gegen Mundipharma einleiten.