Seit dem Jahre 2006 gibt es das Whistleblower Netzwerk, das unter maßgeblicher Mitwirkung des ehemaligen EU-Beamten Guido Strack gegründet worden ist. Guido Strack selber hatte wegen des Vorwurfs von unerlaubtem Whistleblowing seine berufliche Stellung verloren und war durch die EU in Brüssel bereits im Alter von 40 Jahren zwangspensioniert worden. Ein Whistleblower (im Deutschen begrifflich von „verpfeifen“ herzuleiten oder etwa „Enthüller“, „Hinweisgeber“, „Skandalaufdecker“ etc.) ist eine Person, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheim gehaltenen Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringt. Typischerweise gehören dazu Gesetzesverstöße und/oder Missstände wie Korruption, Datenmissbrauch, Insiderhandel, Menschenrechtsverletzungen oder allgemeine Gefahren, von denen der Whistleblower an seinem Arbeitsplatz oder bei anderer Gelegenheit erfährt. Häufig betrifft dies Vorgänge in Wirtschaftsunternehmen, Behörden und in der Politik allgemein.
Bei den Aktivitäten in der Kölner Gruppe von Whistleblower-Netzwerk e.V. (regelmäßige Gruppentreffen an jedem letzten Freitag im Monat, 17:00 Uhr im Allerweltshaus in der Körnerstr. 77-79, 50823 Köln) konzentrieren wir uns auf den Themenbereich Whistleblowing am Arbeitsplatz und in Wirtschaftsunternehmen sowie in Behörden. Weil wir dabei insbesondere betroffenen Arbeitnehmern/innen mit Rat und Tat unterstützend zur Seite stehen wollen, finden die Treffen jeweils unter dem Motto „Zivilcourage am Arbeitsplatz“ statt. Eine Voranmeldung ist nicht erforderlich. Jeder der Informations- oder Beratungsbedarf hat, ist herzlich willkommen; im Einzelfall können auch vertrauliche Vieraugengespräche vereinbart werden, ggf. mit einem entsprechend spezialisierten Rechtsanwalt, der ohnehin kraft Gesetzes (vgl. § 203 StGB) zu strenger Vertraulichkeit und Geheimhaltung verpflichtet ist.
Hohes Ansehen – scharfer Gegenwind
Whistleblower genießen in Teilen der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen, weil sie mit ihrem auf Zivilcourage beruhendem Verhalten für Transparenz sorgen und bereit sind, sich als Informant selbst in Gefahr zu bringen, sei es dadurch, dass sie ihren Arbeitsplatz und die berufliche Existenz riskieren oder etwa wegen Geheimnisverrats vor Gericht gestellt werden können und sich zivilrechtlich oder sogar strafrechtlich zur Verantwortung ziehen lassen. Die durch die strenge Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber und einen hohen Grad an alltäglicher Fremdbestimmung gekennzeichneten Aufgaben im Dienst stellen sie zumindest vorübergehend zurück, um durch die Übernahme von persönlicher Verantwortung und in freier Selbstbestimmung darüber hinausgehend mutig gegen illegales Handeln und Missstände im Unternehmen vorzugehen oder auch gegen Gefahren für Mensch und Umwelt im Allgemeinen.
Wegen der Weitergabe von internen Informationen werden Whistleblower häufig von ihrem Arbeitgeber kritisiert, sie würden seinen guten Ruf in der Öffentlichkeit beschädigen und die Wettbewerbsposition verschlechtern. Das zielt sogar auf die persönliche Haftung eines Whistleblowers. Die kann der Betroffene allerdings abwehren, wenn er nachweist, dass er seine arbeitsvertragliche Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht erst gebrochen hat, nachdem seine Versuche gescheitert sind, innerbetrieblich die Situation zu lösen. Wenn der Whistleblower nachweisen kann, dass er bei seinen Vorgesetzten und der Unternehmensleitung auf taube Ohren gestoßen ist, kann er seinen Schritt an die Öffentlichkeit rechtfertigen. Im Falle eines Rechtsstreites werden die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens und die Interessen des Whistleblowers, aber auch der Öffentlichkeit und des Staates an einer Aufklärung von schweren Missständen abgewägt. Wenn das Gericht das Aufklärungsinteresse gegenüber den privatwirtschaftlichen Interessen des Unternehmens als höherrangig einstuft, kann so das Handeln des Whistleblowers gerechtfertigt werden und er ist von jeglicher Haftung freizustellen. Gerade auch deshalb ist es von erheblicher Bedeutung, dass der Whistleblower sich rechtzeitig kompetente Experten sucht, die ihm möglichst von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Daher fällt insbesondere auch den Journalisten im Whistleblower-Netzwerk e. V. eine verantwortungsvolle Aufgabe zu, denn nach einer Veröffentlichung – die auch bei noch nicht hinreichender Recherche auf keinen Fall zu früh erfolgen sollte, um dem Whistleblower persönlich nicht zu schaden – kann sich für ihn ein gewisser Schutz gerade auch aus der Tatsache ergeben, dass seine Enthüllungen große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit nach sich ziehen und deswegen z. B. das Management mit dem Ziel, keinen weiteren Imageschaden zu erleiden, nicht gegen den Whistleblower offen mit Sanktionen vorgeht. Der Journalist hat das Recht – und nach dem Pressekodex bei entsprechender Vereinbarung mit dem Informanten auch die Pflicht – über seine Quelle zu schweigen und so seinen Informanten zu schützen (vgl. demgemäß wie auch bei Rechtsanwälten ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO). In der Praxis ist darüber hinaus auch jeder Journalist gut beraten, beim Quellenschutz nicht nur auf die Durchsetzung seiner formalen Rechte zu vertrauen, sondern tatsächlich auch stets so umsichtig und vorsichtig zu agieren, dass seine Quelle bzw. der Whistleblower nicht aus reiner Unachtsamkeit gefährdet wird. Dazu gehört z.B. die Verwendung von geschützter Emailkommunikation.
Leider fehlt es in Deutschland nach wie vor an einer gesetzlichen Regelung zum Schutz von Whistleblowern. Zwar hatte der Europarat mit seiner Empfehlung vom April 2014 (CM/Rec(2014)7 des Ministerkomitees) den Mitgliedsstaaten, und so auch Deutschland, die Empfehlung unterbreitet, auf nationaler Ebene eine gesetzliche Regelung zum Schutz von Whistleblowern in Kraft zu setzen. Die Bundesregierung hat allerdings nichts in diesem Sinne unternommen. Im Gegenteil: Sie hat mithilfe der EU eine Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen beschlossen, an welcher sich auch die innerstaatliche Gesetzgebung in Deutschland zu orientieren hat und durch die der Schutz von Whistleblowern sowie die Pressefreiheit nach Art. 5 GG gleichermaßen und nachhaltig gefährdet sind.
Freiheitsfeindliche EU-Richtlinie
Nach der Richtlinie soll die Definition von Geschäftsgeheimnissen (vgl. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie), welche Dreh- und Angelpunkt der Neuregelung und ihrer Reichweite ist, allein durch das Unternehmen bestimmt werden. Es fehlt v. a. das Kriterium des objektiven Geheimhaltungsinteresses des Inhabers. Das bedeutet sogar in Deutschland einen klaren Rückschritt, weil hier die Gerichte in der Vergangenheit stets auch auf das objektive Geheimhaltungsinteresse abstellten. Ein Geschäftsgeheimnis im Sinne der Richtlinie kann in Zukunft jede denkbare Information sein, also auch das von einem Arbeitnehmer im Verlaufe seines Beschäftigungsverhältnisses im Unternehmen erworbene spezielle Fachwissen, was wiederum zur Folge hat, dass dieser ggf. auf Schadensersatz verklagt werden kann, wenn er seine zuvor erworbenen Fachkenntnisse bei einem neuen Arbeitgeber zur Anwendung bringt. Hierbei sieht die EU-Richtlinie eine Sperrfrist von bis zu 6 Jahren vor. Die Beweislast liegt auf Seiten des Whistleblowers.
Arbeitnehmer, die als Whistleblower nach dieser extrem weiten Definition von Geschäftsgeheiminissen geltende Informationen nach außen weiterleiten, etwa an Behörden oder die Medien, können entsprechend belangt werden. Eine ihnen drohende Verurteilung auf Schadensersatz können Sie nur dadurch verhindern, dass sie zur Aufdeckung einer Straftat oder eines Gesetzesverstoßes gehandelt haben und ihr Handeln zum Schutz des öffentlichen Interesses erfolgte (vgl. Art 5 b der Richtlinie). Eine „Schutzregelung“, die weitaus geringer ist als die hiesige Rechtsprechung oder die Empfehlung des Europarates sie definiert haben.
Nach der EU-Richtlinie können Arbeitnehmer uneingeschränkt und in vollem Umfang für den durch Whistleblowing von (angeblichen) Geschäftsgeheimnissen ausgelösten wirtschaftlichen Schaden beim Arbeitgeber haftbar gemacht werden. Zwar können die Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene unterschiedliche Haftungsgrenzen festlegen, allerdings handelt es sich hierbei um eine Ermessensvorschrift, so dass eine Haftungsbegrenzung nicht zwingend erfolgen muss.
Davon abgesehen können die Mitgliedsstaaten eine Haftungsbegrenzung laut der Richtlinie jeweils nur unter der Voraussetzung einführen, dass der Arbeitnehmer „nicht vorsätzlich“ gehandelt hat. Dies ist deutlich gegen Whistleblower gerichtet, weil diese in der Regel vorsätzlich im Sinne von bewusst handeln, auch wenn sie nicht die Absicht haben, eine Schaden zu verursachen. Die Richtlinie stellt aber ausdrücklich nicht auf eine Schädigungsabsicht ab, sondern unmittelbar auf das vorsätzliche Handeln (als Whistleblower).
Die neue EU-Richtlinie tangiert deshalb auch die Pressefreiheit in Deutschland. Auch wenn eine darin enthaltene Kompromissformel etablierte Medien nun besser schützt, so sind vor allem Medien, deren presserechtlicher Staus bislang ungeklärt ist, unzureichend abgesichert. Das gilt vor allem für Blogs und Leaks, Plattformen und Privatpersonen, die über Missstände berichten. Speziell jene Quellen und Menschen, die den Mut und die Courage zeigen, ihre Erkenntnisse an die offiziellen Medien weiterzuleiten, stehen im Fokus der EU-Richtlinie. Sie werden es sich in Zukunft noch genauer zu überlegen haben, ob sie es sich leisten können, über die bald grenzenlos ausgeweiteten Geschäftsgeheimnisse zu berichten.
Vollkommen zu Recht haben daher die Deutsche Journalisten Union (dju), das investigative Recherchebüro corrective.org und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vor dem dargestellten Hintergrund energisch gegen die Verabschiedung der neuen EU-Richtlinie protestiert. In seiner Protestnote warnte der DGB u. a. davor, dass Unternehmen auch Informationen über Missstände in ihren eigenen Betrieben zu Geschäftsgeheimnissen erklären könnten. Das würde zu einem vollkommen ungenügenden Schutz von Whistleblowern führen, die auf gerade eben diese Missstände berechtigter Weise hinweisen wollten – in der Mehrzahl seien diese Hinweisgeber Arbeitnehmer/innen.
Robert Bungart, ObStA a. D.; Harro Schultze, RA