Betriebsratswahlen im März
(gk/tsp) Es ist nicht mehr lange hin bis zu den Betriebsratswahlen – und ihre Bedeutung wird in der Öffentlichkeit häufig unterschätzt. Gemessen an der Anzahl der Mandate stehen Betriebsräte den Kommunalpolitikern um nichts nach: Etwa 180.000 betriebliche Amtsträgerinnen und Amtsträger gibt es in der Bundesrepublik. Darunter sind engagierte Betriebsräte, aber auch gelbe, also arbeitgebernahe Betriebsräte, die – wie z.B. einige bei VW – ein exorbitantes Gehalt beziehen und faktisch Co-Management betreiben. Sie haben sich längst von der Lebensrealität derjenigen verabschiedet, deren Interessen sie angeblich vertreten. Aber das sind die Ausnahmen.
Aufrichtige, gewerkschaftsnahe Betriebsräte werden dieses Jahr in einigen Betrieben der Automobilbranche mit einem neuen Phänomen konfrontiert sein: Mit rechten Betriebsräten. Gewerkschaften wie die IG Metall werden von ihnen bezeichnet als „Staatsgewerkschaften“, die „Teil des Establishments“ seien. Im Daimler-Stammwerk in Untertürkheim hat die Liste „Zentrum Automobil“ schon bei den vergangenen BR-Wahlen zehn Prozent der Stimmen erhalten. Eine „patriotische Gewerkschaft“, deren Ziel es ist, die „Macht der linken Gewerkschaften zu brechen“, verkündet ein Mitglied der Liste vollmundig. Denn die etablierten Gewerkschaften würden ihnen nicht helfen, wenn sie wegen ihrer rechten und rassistischen Umtriebe bei AfD und Pegida betrieblicher Kritik und Sanktionen ausgesetzt seien. Kollegeninnen und Kollegen, die ihre rechte Gesinnung im Betrieb offen kritisieren, nennen sie „Denunzianten“. Unter den 145 Kandidaten der Liste zu den letzten Wahlen seien dennoch auch zahlreiche mit Migrationshintergrund gewesen, behaupten Vertreter des rechten Betriebsrats.
Oliver Hilburger, Mitbegründer der Liste, war jedenfalls zwanzig Jahre lang Gitarist der Neo-Nazi Band „Noie Werte“ und wurde im vergangenen Jahr vor den NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags zitiert. Dort wurde er über seine Kontakte zur rechten Terrorgruppe befragt, die ihre Bekennervideos mit Musik der Nazi-Band unterlegt hatten. Er sei „schon lange aktiv bei der Gestaltung dieser Republik“, beschreibt Hilburger beschönigend seine Vergangenheit als Neonazi.
Geht es nach ihren Anhängern bei AfD, Pegida und bei den Identiären, soll die Liste „Zentrum Automobil“ Modell für andere Listen sein, die nun zur Betriebsratswahl antreten wollen. Betriebsgruppen von „Zentrum Automobil“ soll es etwa bei Opel in Rüsselsheim oder bei Mercedes Benz in Rastatt und im Leipziger BMW-Werk geben, berichtet der Berliner Tagesspiegel.
Mit dem Video „Werde Betriebsrat“, produziert von der Kampagnenplattform „Ein Prozent“ aus dem Umfeld der „Neuen Rechten“, gehen die rechtsradikalen Gewerkschafter auf Werbetour und haben auch schon ein erstes „Betriebsräteseminar“ zur Vorbereitung auf die Wahlen in Halle durchgeführt, an dem nach eigenen Angaben dreißig Interessenten teilnahmen. Auch Guido Reil, der Bergmann aus dem Ruhrgebiet, der 2016 mit viel Getöse aus der SPD aus- und in die AfD eintrat, will die rechte Gewerkschaftsinitiative unterstützen. In den Betrieben, in denen sich alternative Listen bilden, wolle er vorbeikommen und Wahlkampf machen, sagt Reil. Und auch er hat eine Vision: dass sich nämlich oberhalb des auf die Automobilindustrie fokussierten „Zentrums“ eine Gewerkschaft bildet, die weitere Branchen miteinschließt, berichtet der Berliner Tagesspiegel über Guido Reil, selbst Betriebsrat und Mitglied der Industriegewerkschaft Industrie, Bergbau, Chemie. Reil sitzt außerdem im Bundesvorstand der AfD.
Bei der letzten Bundestagswahl haben 15 Prozent der organisierten Gewerkschafter die AfD gewählt, die Hetze gegen Flüchtlinge ist auch in vielen Betriebskantinen kein Tabu mehr. Den Jenaer Sozialwissenschaftler Klaus Dörre überrascht die Entwicklung nicht. „Es gibt schon lange ein ernst zu nehmendes rechtspopulistisches Potenzial unter den Gewerkschaftsmitgliedern. Es lag nahe, dass es früher oder später hervorbrechen würde“, sagte er dem Tagesspiegel.
Dementsprechend sieht Sozialwissenschaftler Dörre ein Potenzial für rechte Betriebsratslisten. Es sei allerdings fraglich, ob es den Rechten auch gelingen könne, dieses zu mobilisieren. Er bezweifelt, dass sie genügend glaubwürdige Repräsentanten in der Belegschaft hätten.
Dörre hält rechte Listen außerdem nur für einen Teil der Entwicklung. „Für viel gefährlicher halte ich Gewerkschafter, die weiterhin für die großen Gewerkschaften aktiv sind, aber aus ihrer Sympathie für AfD und Pegida keinen Hehl machen.“ Im Osten Deutschlands gebe es einzelne Betriebsräte, in denen die, die rechten Positionen nahe stünden, in der Überzahl seien. Er habe aktive Betriebsräte befragen können, die gleichzeitig bei Pegida mitgelaufen seien. Einige hätten sogar Busse zu den Demonstrationen organisiert. Und die Sympathie für die AfD sei nicht nur im Osten ausgeprägt. In Baden-Württemberg hätten 30 Prozent der Arbeiter AfD gewählt.
„Man muss das ernst nehmen, was die sagen, und zwar einfach deshalb, weil sie den Menschen den Eindruck vermitteln, es bleibt alles so, wie es ist“, meint aber Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, gegenüber dem Deutschlandfunk. Geschickt greifen sie die Verunsicherung in der Automobilindustrie angesichts des Dieselskandals auf und stellen sich gegen eine Veränderung der Antriebstechnologien, die in umweltbewußten Gewerkschaftskreisen diskutiert werden.
Mittlerweile wurden auch BR-Listen des „Zentrums Automobil“ für die Wahlen im März bei Daimler in Stuttgart und Sindelfingen eingereicht. In Untertürkheim kandidieren 187 Beschäftige für die rechtsextreme BR-Liste, berichtet „Report Mainz“.
Zwei Kollegen, die lieber anonym bleiben wollen, erzählen im Beitrag des SWR-Fernsehmagazins über die Bedrohung antifaschistischer Kollegen durch die rechten Betriebsräte, die auch nicht davor zurückscheuten, im Betrieb den Holocaust zu leugnen. „Politisches Engagement ist Privatsache der Beschäftigten“, so die Antwort der Daimler-Konzernzentrale auf die Frage des SWR, wie sie denn mit der rechtsextremen Liste umgehen wolle.
Derzeit kursieren mehrere Aufrufe gegen die rechten „Gewerkschafter“, u.a. vom Netzwerk der Gewerkschaftslinken. Labournet hat diesen und andere Aufrufe und Hintergrundbeiträge in einem lesenswerten Dossier zusammengestellt.