Nachhaltig produzierte und fair gehandelte Produkte sind das moralische Geschäftskapital des Bio-Einzelhandels. Doch fair gehandelt bedeutet nicht, dass die Beschäftigten der Einzelhändler und der Bio-Ketten faire Arbeits- und Einkommensbedingungen haben. „Die Branche steckt in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf“, sagt Ulrich Dalibor, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel. Von den 133 Filialen des Bio-Discounters Alnatura verfügt nur eine über eine Arbeitnehmervertretung. Beim Konkurrenten dennree könnte jetzt endlich der erste Betriebsrat gewählt werden. Der Konzern, der die Gründung eines Betriebsrats bisher behindert hatte, fürchtet nun offensichtich einen Image-Schaden und lenkte aufgrund des öffentlichen Drucks ein.
Vor dreieinhalb Jahren wollten Alnatura-Angestellte in Bremen einen Betriebsrat wählen, aber bis heute fand dort keine Betriebsratswahl statt. Der Fall ging bis vor das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Dort verwies man ihn unlängst zurück an das Landesarbeitsgericht Bremen. Bis es dort einen Termin gibt, dürften erneut viele Monate ins Land gehen. Zeit schinden und die gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten zermürben gehört zum 1×1 des Union-Busting.
Unmittelbar vor der angesetzten Wahl im Oktober 2015 habe die Filialleitung, die in Mitarbeitergesprächen stets ihren Unmut über die geplante Betriebsratswahl geäußert habe, plötzlich selbst drei zusätzliche KandidatInnen aufgestellt. Aufgrund der Vielzahl an KandidatInnen erhielt bei der Wahl niemand die erforderliche einfache Mehrheit. Die Gewerkschaft Verdi beantragte deshalb als Vertreterin von fünf Alnatura-MitarbeiterInnen beim Arbeitsgericht Bremen den Einsatz eines Wahlvorstandes, um die eigentliche Wahl des Betriebsrats nicht zu gefährden. Alnatura legte Beschwerde gegen den vom Gericht bestellten Wahlvorstand ein – und ließ sich damit Zeit bis zum Ende der einmonatigen Frist. Zur Begründung der Beschwerde forderte der Bio-Konzern aus dem hessischen Darmstadt noch einmal eine Fristverlängerung. Und als schließlich auch das Landesarbeitsgericht die Einsetzung eines Wahlvorstands bestätigte, legte Alnatura sogar eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht ein.
In der Bremer Filiale reduzierte die Anzahl der Angestellten auf 20, angeblich aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Für Kai Wargalla, deren befristeter Vertrag nicht verlängert wurde, steht indes fest: „Bei einer Mitarbeiterzahl bis 20 besteht nur das Recht auf einen einköpfigen Betriebsrat – deswegen wurden die Stellen reduziert.“ Und schnell wieder aufgestockt, allerdings mit LeiharbeiterInnen. Kürzlich wurde die Nichtzulassungsbeschwerde Alnaturas vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelt – das Unternehmen verlor. Doch ein Grund zum Jubeln sei das nicht, sagt Sandra Schmidt von Verdi Bremen. Denn der Fall wurde nicht abgeschlossen, sondern lediglich an das Bremer Arbeitsgericht zurückverweisen, unter anderem deswegen, weil drei Mitglieder des eingesetzten Wahlvorstands mittlerweile nicht mehr in der Filiale arbeiten. Schmidt ist sich sicher: “Wäre ein Urteil gegen Alnatura ergangen, hätte das Unternehmen mit einer Verfassungsklage gedroht“, sagt sie.
Die Beschäftigten in der Bremer Filiale hätten mittlerweile keine Lust mehr auf diese Konflikte, sagt Wargalla. Vor fast neun Jahren hat die Alnatura-Filiale in der Freiburger Kaiser-Joseph-Straße einen Betriebsrat gewählt – den noch immer einzigen bei Alnatura. Käme ein zweiter hinzu, könnte ein Gesamtbetriebsrat für sämtliche Beschäftigten des anthroposophisch orientierten Unternehmens eingerichtet werden. Genau das versucht der Konzern offensichtlich mit aller Macht zu verhindern.
Auch der Bio-Großhändler denree versuchte, die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten an seinem Stammsitz in Töpen, Landkreis Hof, zu beschneiden und die Gründung eines Betriebsrats zu everhindern. Das Unternehmen schikanierte und behinderte den Wahlvorstand, klagt die Gewerkschaft verdi. Doch in der letzten Woche lenkte das Unternehmen überraschend ein und sicherte zu, die Kosten für die gesetzlich notwendige Schulung des Wahlvorstands zu übernehmen, sagt Paul Lehmann, der im Bezirk Oberfranken-Hof der Gewerkschaft Verdi für die Fachgruppe Handel verantwortlich ist der taz.
Mit einer bemerkenswerten Argumentation versuchte Thomas Greim, Gründer und Geschäftsführer von Dennree, in einem Interview mit der taz zu begründen, warum er seine Beschäftigten nicht nach Tarif bezahlt: „Wir haben ja auch Kunden, die Fragebedürfnisse haben oder menschliche Nähe suchen. Das kostet Zeit.“ Damit sei keine Wertschöpfung verbunden. Er gab dann auch zu, dass die Beschäftigten mit ihren Löhnen quasi die Expansion seines Unternehmens bezahlen, und prognostizierte einen Umsatz von 100 Millionen Euro für 2011, bei rund einer Million Euro Gewinn.