Ein Gespräch mit Betriebsräten (Teil I)*
Die Redaktion der Zeitschrift Avanti Rhein-Neckar sprach mit aktiven Gewerkschafter*innen und Betriebsrät*innen aus der Rhein-Neckar-Region über ihre Situation in der Pandemie. Alle berichteten über zusätzliche Herausforderungen.
Einerseits durch die Pandemie selbst. Zum Beispiel aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten mit den Kolleg*innen oder wegen der Schwierigkeiten Sitzungen und Betriebsversammlungen durchzuführen.
Andererseits durch die jeweilige Unternehmensführung: Diese hatten ja ihre Strategie, Profitziele, Umstrukturierungen, „Optimierungen“ usw. während der Pandemie nicht plötzlich auf Eis gelegt, sondern verfolgten diese weiter. Und sie griffen dabei im „Schatten der Pandemie“ in unterschiedlichem Maß Betriebsräte und deren Mitbestimmungsrechte an.
Grund genug also, diesmal mit den Kolleg*innen über Ihre Arbeit und Erfahrungen zu reden.
Avanti: Die Weinheimer Nachrichten befragten vor kurzem Unternehmen zur Pandemie. Diese waren sich einig: Der Gesundheitsschutz wird beachtet und weitergehende gesetzliche Regelungen seien nicht notwendig. Unseres Wissens gab es darauf keine Reaktionen von Gewerkschaften und Betriebsräten. Macht das Management tatsächlich einen guten Pandemie-Job oder legt Corona die Betriebsräte lahm?
Clara: In den letzten Gesprächen wurde ja schon deutlich, dass die Pandemie für uns eine ziemliche Herausforderung war und ist. Ich glaube, das trifft auf alle in dieser Runde zu. Bis wir kapiert hatten, was da auf uns zukommt, waren wir schon mitten in der ersten Welle. Und plötzlich war nichts mehr wie zuvor. Die Unternehmensführung war schneller als der Betriebsrat.
Auch wenn Arbeits- und Gesundheitsschutz für uns vorher schon wichtig war, waren wir ehrlicherweise überfordert. Und vielen Betriebsräten in unserem Gewerkschaftsbezirk ging es ähnlich.
Heiko: Ich muss Clara zustimmen. Von jetzt auf nachher standen ganz andere Themen auf der Tagesordnung. Wir haben zwar arbeitende BR-Strukturen, und Arbeitsschutz ist bei uns seit Jahren ein zentrales Thema, aber auf so etwas waren wir nicht vorbereitet.
Wir mussten die Geschäftsführung nicht zum Handeln bewegen. Klar, anfangs hat sie Corona als „chinesisches Problem“ abgetan. Aber als sie die Entwicklung und die möglichen negativen Folgen für das Unternehmen sah, hat sie sofort gehandelt.
Einige Vorgesetzte sind dabei mit ihren Maßnahmen zu weit gegangen und wollten uns aus ihren Entscheidungen raushalten. Die mussten wir erst wieder einfangen und dabei auf unsere Mitbestimmungsrechte pochen. Ich glaube, das ist uns gelungen.
Kevin: Bei uns hat die Führung auch reagiert. Aber ein guter Job sieht anders aus. Die binden uns zwar ein, aber das ist nur Anstrichfarbe, denn gleichzeitig haben sie ihre Angriffe auf uns verschärft.
Seit Jahren müssen wir um unsere Mitbestimmungsrechte gerade auch beim Arbeitsschutz kämpfen und jetzt tun die so, als ginge es ihnen nur ums Wohl der Belegschaft. Die wollen doch nur eines, dass der Laden störungsfrei weiterläuft. Solange wir ihre Maßnahmen „konstruktiv“ abnicken, ist es gut, wenn wir eigene Vorstellungen haben, sind wir der Untergang des Unternehmens.
Soweit ich das für unsere Geschäftsstelle beurteilen kann, trifft das was Clara sagt zu. Viele Betriebsräte, aber auch die Gewerkschaftshauptamtlichen, waren plötzlich mit etwas völlig Unerwarteten konfrontiert und überfordert und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollen. Die „sanften“ Betriebsräte, die eh nur kuschen und kuscheln, die wir ja auch kennen, die sind noch weiter abgetaucht.
Also ist mein Eindruck richtig, dass die Pandemie bei euch eine gewisse Ratlosigkeit und vielleicht sogar eine Schockstarre verursachte?
Heiko: Von einer Schockstarre würde ich bei uns nicht reden. Wir haben, wenn auch mit Einschränkungen, arbeitsfähige Strukturen. Das war natürlich ein Riesenvorteil. Auch dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz seit Jahren große Bedeutung hat, hat uns geholfen. Wir haben dazu einfach schon Wissen und Klarheit über unsere Rechte.
Trotzdem drohten uns, neben den Schnellschüssen des Managements, die Fragen und Herausforderungen der Pandemie zu überrollen. Zum Beispiel, wie und wo können wir uns zu unserer Sitzung treffen? Wie können wir trotz Hygienebestimmungen und „Home-Office“ Kontakt mit den Beschäftigten halten? Kriegen wir Video-Sitzungen hin? Können wir online rechtssicher abstimmen? Und einige Betriebsräte haben versucht, sich noch stärker als bisher einzugraben und nichts zu machen. Dagegen anzugehen, war sehr schwer.
Clara: So gut sieht es bei uns nicht aus. In unserem Betriebsrat gab es schon eine gewisse Handlungsunfähigkeit. Das traf auch auf uns von der aktiven Minderheit zu. Quer durch die Strömungen haben wir gemerkt, wie Corona uns beansprucht, auch ganz persönlich, und lähmt. Und dann kommt dazu, dass unserer Meinung nach das Management Corona nutzt, um die Mitbestimmung und unsere Rechte in Frage zu stellen. Die Mehrheit sieht dieses Problem nicht.
Auch waren wir selbst zum Pandemiebeginn handlungsunfähig. Wir haben aber das Glück, uns mit aktiven Kolleg*innen anderer Betriebe regelmäßig austauschen zu können. Das hat uns immer wieder aktiviert und Impulse gegeben.
Tom: Die Logistik gilt ja als einer der Pandemie-Hotspots. Unsere Niederlassung gehört da zum Glück nicht dazu. Und ich habe ja schon früher darüber gesprochen. Wir arbeiten auch bei anderen Firmen in der Logistik und im Versand. Da sind wir auf den jeweils herrschenden Gesundheitsschutz angewiesen.
Unser eigener Betriebsrat ist noch weniger zu sehen als zuvor. Klar, wenn du kein freigestellter Betriebsrat bist und dazu noch an einem anderen Ort arbeitest, ist es nicht leicht, Kontakt zu halten. Aber während der Pandemie ist das gleich null.
Auch der Betriebsrat unseres Auftraggebers ist kaum präsent. Für uns als Werkverträgler ist der ja nicht zuständig, aber doch für die eigenen Leute. Ich glaube, die haben schlichtweg keinen Plan. Die hatten schon vor der Pandemie keine gute Kommunikation. Woher soll das jetzt plötzlich herkommen. Ich sehe das so und ich weiß, ich habe da gut reden, wer sich vor einer Krise nicht gut aufstellt, der schafft es während der Krise erst recht nicht.
Kevin: Anfangs hat es auch uns beinahe überrollt. Aber wir haben versucht, nicht unter die Räder zu kommen und unsere Strukturen und Arbeit aufrecht zu erhalten. Das fiel uns zwar ziemlich schwer, aber Zeit für Warten und Erstarrung hatten wir gar nicht. Wir mussten nämlich nicht nur auf die Unternehmensführung reagieren, sondern auch auf die starke und unternehmensorientierte Minderheit.
Habt Ihr alle wie bei Heiko arbeitende Betriebsratsstrukturen? Haben diese weitergearbeitet?
Clara: Wir haben viele Ausschüsse. Vielleicht zu viele. Die waren sehr unterschiedlich aktiv. Manche haben schon vorher nichts gemacht. Ein paar arbeiten weiterhin, allerdings sehr eingeschränkt. Die Arbeit wird nicht regelmäßig besprochen.
Der Betriebsrat führt auch keine regelmäßigen Sitzungen mehr durch. Insgesamt ist die Arbeit des Betriebsrates durch die Pandemie deutlich schlechter geworden. Wir als Minderheit versuchen, dagegenzuhalten, aber das ist sehr mühselig. Es ist wirklich vieles in der Pandemie ganz anders als vorher.
Übrigens führen wir auch keine Betriebsversammlungen durch. Ich weiß, das müssten wir tun, aber dafür haben wir noch keine wirkliche Idee.
Tom: Wir haben einen kleinen Betriebsrat und kaum Ausschüsse. Aber die Arbeit hat sich in der Pandemie auf die beiden Vorsitzenden konzentriert. Der Rest ist inaktiv. Es gibt kaum noch Regelmäßigkeit. Und mit der Begründung „Corona“ wird fast alles akzeptiert, was vom Unternehmen kommt.
Heiko: Ich wollte keinen falschen Eindruck erwecken. Auch bei uns läuft nicht alles super. Am Anfang herrschte eine sehr große Unsicherheit. Was dürfen wir noch? Was können wir noch? Es hat einige Monate und viele Diskussionen gebraucht, wieder Betriebsratsarbeit außerhalb der Pandemiebekämpfung zu organisieren. Und diese ist bei weitem nicht auf dem Niveau der Vorkrisenzeit.
Kevin: Ja, bei uns haben die Strukturen weitergearbeitet. Vor allem der Betriebsausschuss hat an Bedeutung gewonnen. Ein Teil der Arbeit konzentriert sich inzwischen auf ihn. Das ist nicht glücklich, aber wir standen vor der Wahl, nicht mehr zu funktionieren oder so zu funktionieren. Wir haben regelmäßig unsere BR-Sitzungen durchgeführt und dabei schon früh die Videokonferenztechnik genutzt. Aber das ist datenschutzrechtlich nicht immer ganz einfach.
Die sonstigen Ausschüsse funktionieren unterschiedlich gut, aber spürbar schlechter wie zuvor.
*[Das Gespräch fand Ende Januar 2021 statt. Die Namen wurden zum Schutz der Teilnehmenden geändert. U. D. stellte die Fragen. Teil II folgt in der März-Ausgabe von Avanti².]
Mit freundlicher Genehmigung aus Avanti Rhein-Neckar, Februar 2021