(gk) Sechzig Jahre ohne Betriebsrat, bis heute ohne regulären Tarifvertrag – das ist Teil der Geschichte der WIKUS-GmbH & Co. KG. Der mittelständische Metallbetrieb im nordhessischen Spangenberg mit 520 Beschäftigten ist nach eigenen Angaben Europas größter Produzent von Metallsägen für Anwender aus der Stahlbranche: Gießereien, Maschinen- und Werkzeugbau, Luft- und Raumfahrt, Automobilindustrie, Baugewerbe und Energie. 2018 zeichnete der hessische Wirtschaftsminister Tarik Al Wazir (Grüne) die WIKUS-Sägenfabrik mit dem Innovations- und Wachstumspreis des Landes Hessen aus.
Die Geschäftsführung lässt sich seit mehr als zehn Jahren von Anwälten aus dem Stammsitz der Rechtsanwaltskanzlei Schreiner & Partner beraten, die zwei Autostunden entfernt ihren Hauptsitz im sauerländischen Attendorn hat. Schreiner & Partner ist bundesweit dafür bekannt, Arbeitgeber zu beraten, die engagierte Mitarbeiter und Betriebsratsgremien als Problem betrachten. Die Rechtsanwaltskanzlei bietet Seminare an mit dem Titel: „In Zukunft ohne Betriebsrat: Wege zur Vermeidung, Auflösung und Neuwahl des Betriebsrates“ oder „Die Kündigung ’störender’ Arbeitnehmer. So gestalten Sie kreativ Kündigungsgründe“.
„Die Handschrift dieser Kanzlei ist beim Umgang der WIKUS-Geschäftsführung mit Mitarbeiterinteressen unschwer wieder zu erkennen“, so Andreas Köppe, zuständiger Sekretär der Gewerkschaft IG Metall. Ein Metallbetrieb dieser Größenordnung ohne regulären Tarifvertrag und Betriebsrat sei „eher ungewöhnlich“. Stattdessen habe eine 11-köpfige Kommission ohne jegliche verbriefte Rechte die „Mitarbeitervertretung“ übernommen. Bei den Treffen mit dabei ist der Geschäftsführer Jörg H. Kullmann, Sohn des verstorbenen Firmengründers. Doch das soll sich jetzt ändern. Seit März gibt es einen 18-köpfigen Vetrauensleutekörper der IG Metall. Unter den widrigen Bedingungen der Corona-Pandemie war es den Gewerkschafter*innen gelungen, den Vertrauenskörper mit Hilfe von digitalen Sitzungen ins Leben zu rufen. Nun soll ein richtiger Betriebsrat gegründet werden.
Weihnachtsgeschenk: Die Kündigung
Das Gremium wird einiges zu tun bekommen: Ende des vergangenen Jahres, kurz vor Weihnachten, erhielten 77 Mitarbeiter*innen ihre Kündigung. „Es tut uns aufrichtig leid, dass wir sie im kommenden Jahr nicht weiterbeschäftigen können“, schrieb die Geschäftsleitung in einem persönlichen Brief an die gekündigten Mitarbeiter*innen, den sie mit „Weihnachtsbotschaft“ überschrieben hatte. Das Jahr 2020 sei ein „Ausnahmejahr“ gewesen. „Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie, dass Sie vor allem gesund bleiben. An den Weihnachtstagen im Kreis Ihrer liebsten Menschen beisammen sein zu können, das wird in diesen Zeiten wohl das schönste Geschenk sein“ – mit diesen Worten endet der Brief.
Auch die nicht gekündigten Kolleg*innen mussten sich die Augen reiben, als sie wenig später neue Stellenausschreibungen entdeckten und in Aushängen zu kurzfristigen Überstunden und Samstagsarbeit aufgefordert wurden. Mit deutlichem Nachdruck, wie den Aushängen zu entnehmen war: „Wichtig: Die vorgegebene Arbeitszeit von sechs Stunden muss eingehalten werden. Achtung: Die Anwesenheit ist Pflicht,“ so wurde die Arbeitspflicht für Samstags eingefordert.
„Plötzliche Entlassungen der Kollegen einerseits und daraufhin zu leistende Überstunden andererseits zeugen von einer schlecht oder übereilt getroffenen unternehmerischen Entscheidung, die nun auf den verbliebenen Mitarbeitern abgeladen wird“, so die Vertrauensleute in einer Mitteilung an die Kolleg*innen. Mittlerweile kommen auch Leiharbeiter zum Einsatz.
Es ist nicht das erste Mal, dass unternehmerische Entscheidungen auf dem Rücken der Beschäftigten „abgeladen“ werden. 2017 mussten die Mitarbeiter*innen auf eine vorgesehene Lohnerhöhung von zwei Prozent verzichten, um den Neubau von Produktionshallen zu refinanzieren.
2010 wollten Kolleg*innen schon einmal einen Betriebsrat gründen. Ältere Kollegen berichten von anschließender Einschüchterung und dem Versprechen einer dreiprozentigen Lohnerhöhung, wenn kein Betriebsrat zu Stande käme. Der Versuch sei deshalb erfolglos geblieben. Nun also ein neuer Anlauf: Der vom Arbeitsgericht in Kassel einberufene Wahlvorstand hat die Betriebsratswahl auf den 25.Oktober terminiert.
Dass allerdings in einem Schichtbetrieb nur an einem einzigen Tag gewählt wird, ist völlig unüblich, normalerweise zieht sich die Wahl über mehrere Tage. Obwohl der Wahlkampf noch nicht offiziell begonnen hat, präsentierte sich schon eine Liste „Pro-Betriebsrat“. In ihren Aushängen fordert sie andere Beschäftigte auf, über ihre Liste für den Betriebsrat zu kandidieren. Andreas Köppe, der über die Gründung dieser Liste nicht informiert wurde, warnt davor, dieser Aufforderung nachzukommen. „Der Kündigungsschutz für Kandidaten zur BR-Wahl gilt erst mit der Veröffentlichung der Kandidatenliste“, so der Gewerkschaftssekretär. Auch die Vertrauensleute sind skeptisch, trauen der Sache erst, wenn die BR-Wahl tatsächlich stattgefunden und sich der Betriebsrat konstituiert hat.
An einer Mitarbeiterbefragung durch die Vertrauensleute im Juni beteiligte sich mehr als ein Drittel der Beschäftigten. Dabei kam heraus, dass die Kolleg*innen mehrheitlich unzufrieden sind mit der Arbeitsplanung und den Berufsaussichten. Knapp die Hälfte fürchtet um ihren Arbeitsplatz, mehr als die Hälfte hat kein Vertrauen in die Geschäftsführung. Am meisten Sorge aber bereitet ihnen die Beratung durch die Rechtsanwaltskanzlei Schreiner & Partner – 72 Prozent empfinden sie als fragwürdig und beängstigend.
Überwältigende Solidarität
In mehr als zwei Dutzend Grußbotschaften haben Betriebsräte und Vertrauenskörper der IG Metall aus der ganzen Bundesrepublik ihre Solidarität bei der Gründung des WIKUS-Betriebsrates zugesagt und das Gebaren der Geschäftsführung als willkürlich und nach „Gutsherrenart“ kritisiert. „Unsere Unternehmen sind durch Geschäftsbeziehungen verbunden“, schreiben etwa die Kolleg*innen von Arcelor Mittal in Bremen. Sie kündigen an Druck zu machen und „die Situation in eurem Betrieb bei unserem Arbeitgeber zu thematisieren.“
„Es ist höchste Zeit, dass bei WIKUS endlich ein Betriebsrat gegründet wird. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – zudem aber auch ein gesetzlich verbrieftes Recht, damit die Beschäftigten bei Personal- Arbeitseinsatz- und Lohnfragen ihr Mitspracherecht wahrnehmen können und so wenigstens etwas demokratische Kultur in diesem Metallbetrieb Einzug hält“, so Günter Wallraff, Mitgründer von Work Watch e.V., „Wer sich von Schreiner & Partner beraten lässt, der hat entweder die Verhinderung eines Betriebsrates im Sinn oder will die betriebliche Mitbestimmung unbedingt unterlaufen. Die vielen Solidaritätsbekundungen und vor allem das Engagement der Belegschaft machen aber Hoffnung, dass sie bei WIKUS nicht damit durchkommen.“
Seit 16.September ist die Kandidat*innenliste der „Offenen Liste IG Metall“, hervorgegangen aus dem Vetrauensleutekörper, beim Wahlvorstand eingereicht: Sage und schreibe 82 Kolleg*innen stellen sich zur Wahl.
Die schriftlichen Fragen von Work Watch e.V. hat die Geschäftsleitung von WIKUS nicht beantwortet. Das Unternehmen sehe „keine Veranlassung“, über „interne Prozesse extern zu kommunizieren,“ schrieben sie in einer E-Mail. Demokratische Rechte im Betrieb – eine interne Angelegenheit?