Andreas Rech (50) ist seit 2013 Ver.di-Sekretär für die Sicherheitsbranche in NRW und hat WaSi, das Netzwerk für Sicherheitsbeschäftigte in NRW aufgebaut, Wach- und Sicherheitsdienste NRW). Gerhard Klas sprach mit ihm über einen besonders brutalen Union-Busting -Fall bei Prodiac, einem Bielefelder Tochterunternehmen der KWS (Kieler Wach- und Sicherheits GmbH & Co. KG), dem drittgrößten Sicherheitsdienstleister in der Bundesrepublik. Du hast schon viele Bossing-Fälle im Laufe Deiner beruflichen Karriere mitbekommen. Nun beschäftigt Dich ein Fall bei Prodiac, der alle bisherigen in den Schatten stellt. Warum? Was hier passiert, zieht mir echt die Schuhe aus: Hier behauptet ein Arbeitgeber einfach, es gäbe gar keinen Betriebsrat, die letzte Wahl sei nichtig gewesen. Ohne Beweise, die einer Überprüfung standhalten würden. Und Richter am Arbeitsgericht frieren aufgrund dieser Behauptung deswegen alle Beschwerdeverfahren oder Beschlussverfahren ein, die der Betriebsrat eingeleitet hat. Das ist eine völlig neue Dimension. Und von Anfang an wurde mit brutalen Mitteln gegen die Mitglieder vorgegangen. Mit welchen Mitteln? An einem Donnerstagvormittag im Mai 2017 hat es angefangen: Der damalige Betriebsratsvorsitzende wurde von zwei Männern im Betriebsratsbüro aufgesucht – wohlgemerkt im Firmengebäude, das nur mit spezieller Zugangsberechtigung betreten werden konnte. Sie schlugen ihn so brutal zusammen, dass er bis heute nicht mehr arbeiten kann. Laut Zeugenaussagen war der damalige Niederlassungsleiter unmittelbar anwesend, hat aber nicht die Polizei verständigt. Die Täter wurden ermittelt und inzwischen auch verurteilt, der Niederlassungsleiter ist aber in einem anderen Sicherheitsunternehmen noch immer tätig.Trotz dieser massiven Einschüchterung hat sich danach ein neuer Betriebsrat gegründet. Aber der Arbeitgeber ignorierte sämtliche Mitbestimmungsrechte und ließ den Betriebsrat außen vor, egal ob es um Arbeitszeit, Einstellungen oder Kündigungen ging. Wie hat sich der Betriebsrat zur Wehr gesetzt? Der Betriebsrat, dessen Mitglieder sich dann nach und nach gewerkschaftlich organisierten, hat mehr als dreißig Klagen beim Arbeitsgericht eingereicht, die er sämtlich gewonnen hat. Aber der Arbeitgeber ignoriert diese Gerichtsbeschlüsse und zwingt den Betriebsrat dadurch in die nächsten Verfahren. Mittlerweile hat das Gericht Ordnungsgelder angekündigt, um den Arbeitgeber zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Die werden dann verhängt, wenn der Betriebsrat bei Gericht anhaltende Verstöße des Arbeitgebers anzeigt. Aber der Hausjurist des Arbeitgebers, das haben uns Zeugen berichtet, hat noch im Gerichtsgebäude gedroht: „Sowie das erste Ordnungsgeld kommt, machen wir den Laden zu“. Hat der Betriebsrat weitere Schritte eingeleitet? Wir haben uns zusammen mit dem Betriebsrat an das Arbeitsministerium in Nordrhein-Westfalen gewandt. Wir haben in unserem Bundesland die eigentlich komfortable Situation, dass wir dort eine Landes-Schlichtungsstelle haben, die nicht nur in Tarifrunden zum Einsatz kommt, sondern die man auch bei innerbetrieblichen Konflikten um Hilfe bitten kann. Das Treffen mit der Landesschlichterin wurde dann zur großen Enttäuschung für die Beschäftigten und den Betriebsrat. Und auch mich hat das Treffen ziemlich verunsichert. Die Landesschlichterin ging auf die vielen Arbeitsgerichtsverfahren und die fortgesetzte Weigerung des Arbeitgebers, das Betriebsverfassungsgesetz zu beachten, gar nicht ein. Ich habe dann aufgeführt, was aus unserer Sicht bei dem Treffen angesprochen werden muss: Wir haben z.B. Beschäftigte bei Prodiac, die müssen über 300 Stunden im Monat arbeiten, Zwölf-Stunden-Schicht ohne Pausen. Das sind eklatante Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, gegen die Mitbestimmung. Die Landesschlichterin meinte, wir sollten doch eine Betriebsvereinbarung über diese Konflikte verhandeln. Während des gesamten Treffens hat sie kein Wort der Kritik am Verhalten des Geschäftsführers von Prodiac geübt. Stattdessen hat sie zum Schluss freundlich lächelnd sein Angebot angenommen, sie im Wagen mit zum Bahnhof zu nehmen. Dadurch fühlte sich der Betriebsrat vor den Kopf gestoßen, hat völlig das Vertrauen in die Institutionen verloren. Ich habe die Landesschlichterin darauf aufmerksam gemacht, dass diese fortgesetzten Gesetzesverstöße und dieses völlige Unverständnis des Arbeitgebers, sich an irgendwelche Regelungen und Gesetze halten zu müssen, möglicherweise den Paragraf 35 der Gewerbeordnung ins Spiel bringen könnte. Nämlich ob dieser Arbeitgeber überhaupt ein Gewerbe führen darf. Wenn in einem Imbiss Hygienemängel festgestellt und nicht behoben werden, muss der Laden schließlich auch dicht machen. Im Sicherheitsgewerbe scheint das nicht zu funktionieren. Setzt eine Betriebsvereinbarung nicht eine gewisse Kooperationsbereitschaft der Geschäftsführung voraus? Tatsächlich hatten wir kurz vorher einen neuen Ansprechpartner in Betrieb. Der alte Niederlassungsleiter hatte das Unternehmen schon längere Zeit vorher verlassen. Uns wurde Friedrich Weise, der Geschäftsführer von KWS in Dortmund, als neuer Niederlassungsleiter für Prodiac vorgestellt. Mit dem hatten wir ausgemacht, dass wir verschiedene Betriebsvereinbarungen abschließen wollen, etwa zum Thema Arbeitszeit und zum Prozedere der Mitbestimmung. Von daher war also die Idee der Landesschlichterin überhaupt nicht neu. Wir haben ja mittlerweile dem Arbeitgeber deutlich gemacht so weit, dass er verstanden hat, dass hier die gesetzlichen Bestimmungen für ihn überhaupt nicht zu umgehen sind. Nach mehreren Verhandlungsterminen mit Herrn Weise hatte der Betriebsrat eine auf das Sicherheitsgewerbe zugeschnittene Betriebsvereinbarung entworfen. Doch dann teilte uns Herr Weise mit, dass die Gespräche nicht fortgeführt werden und er das bereits Verhandelte übrigens für rechtswidrig hält. Also rief der Arbeitgeber die Einigungsstelle an. Aber auch hier verweigert er sich einer einvernehmlichen Lösung, spielt auf Zeit und versucht, ein Ergebnis zu verhindern. Welche Rolle spielte der § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes, der ja die Behinderung von Betriebsratsarbeit unter Strafe stellt? Für uns war klar: wir können das nicht auf sich beruhen lassen. Unserer Meinung nach begeht die Geschäftsführung von Prodiac strafbare Handlungen. Wir haben uns also wegen der Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane nach §119 BetrVG an die Staatsanwaltschaft Bielefeld gewandt. Leider mit dem Ergebnis, dass das Verfahren eingestellt wurde. Der Anfangsverdacht sei zwar begründet, aber insgesamt wäre tatsächlich das Strafmaß zu gering und deshalb ein öffentliches Interesse nicht erkennbar. Wie haben die Kolleginnen und Kollegen bei Prodiac die Entscheidung der Staatsanwaltschaft verkraftet? Für sie war das eine Katastrophe, sie sind schwer getroffen. Sie sagen jetzt: das Arbeitsministerium interessiert sich nicht für uns, die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein. Und sie fragen sich natürlich, wer in diesem Land kann uns denn überhaupt noch helfen, wenn Gerichtsurteile nichts mehr bringen? Wenn unser Arbeitgeber mit der Behauptung, die letzten Betriebsratswahlen seien ungültig gewesen, sogar Gerichte dazu bringt, laufende Verfahren auf „ruhend“ zu stellen, also nicht weiter zu verhandeln. Die Beschäftigten bei Prodiac fühlen sich ihrem Arbeitgeber völlig hilflos ausgeliefert. Wie hat die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahren im Detail begründet? Das grundsätzliche Problem bei diesen Paragraf 119 ist: Der taucht im Betriebsverfassungsgesetz auf und ist überschrieben, wie gesagt, mit „Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane“. Aber er taucht nicht im Strafgesetzbuch auf. Und die Staatsanwaltschaft lehnt eine Ermittlung auch mit der Begründung ab, die in der Strafanzeige geschilderten Sachverhalte seien schwerpunktmäßig zivilrechtlicher Natur. In diesen Fällen sei es ‚in der Regel geboten, die begrenzten Kapazitäten der Ermittlungsbehörden von der Aufarbeitung komplexer zivilrechtliche Rechtsbeziehung zu entlasten‘. Das hört sich natürlich ein bisschen schwülstig an. Aber im Kontext der strafrechtlichen Ermittlung heißt das: die Verhängung einer hohen Strafe ist nicht zu erwarten, Aufwand und Resultat stehen in keinem Verhältnis, deswegen stellen wir das ein. Am meisten ins Auge gesprungen ist mir aber die Begründung, ein besonderes öffentliches Interesse sei nicht zu erkennen. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer Verschärfung des §119, wie er auch im Koalitionsvertrag angekündigt ist. Sie würde vielen tausend Beschäftigten, die derzeit unter der Willkür ihrer Arbeitgeber zu leiden haben, neue Hoffnung geben. Wie geht es jetzt für die Beschäftigten von Prodiac weiter? Ich fege derzeit die Scherben zusammen. Für die Beschäftigten ist die Situation um so schlimmer, weil nun klar zu sein scheint, das Prodiac abgewickelt werden soll, bevor der Skandal noch größer wird. Vertreter des Mutterkonzerns KWS fahren gemeinsam mit der Personalchefin von Prodiac die Kunden an und schreiben die Aufträge auf den Mutterkonzern um. Einzelne, ausgesuchte Beschäftigte bekommen ein Übernahmeangebot von KWS. Natürlich nicht die Kolleginnen und Kollegen, die sich auf der Seite des Betriebsrates oder der Gewerkschaft gestellt haben. In der Branche wird über dieses Vorgehen geredet, vor allem weil mit KWS der drittgrößte Sicherheitsdienstleister in Deutschland dahinter steckt. Das wirft ein ziemlich schlechtes Bild auf die Branche. Ist Prodiac ein Einzelfall bei KWS? Über wasi-nrw.de, unsere online-Plattform, bekomme ich viele Zuschriften. Oft auch von Beschäftigten von KWS, dir mir von schlimmen Zuständen berichten. Aber dort gibt es bislang keine Betriebsräte. Und so massiv, wie KWS gegen Betriebsräte vorgeht, ist das leider auch kein Wunder. Du hast jetzt selbst eine Anzeige von Prodiac erhalten. Wie kam es dazu? Rasmus Finn Wackerhagen, Geschäftsführer von Prodiac und KWS, ist natürlich nicht damit einverstanden, dass diese Zustände an die Öffentlichkeit kommen. Er will mich offensichtlich daran hindern, dass ich darüber berichte. Aufgrund meiner Artikel bei wasi-nrw.de, hat er mich jetzt gerade angezeigt wegen Beleidigung und Verunglimpfung. Ich bin gespannt, wie das Gericht entscheiden wird. Ich werde mich sicherlich nicht einschüchtern lassen und sehe es als meine Aufgabe an, mich vor die Beschäftigten zu stellen.