30. Januar 2025

“Störende” Gewerkschaft bei Ottobock

„Ottobock ist ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter*innen mit ihrer Arbeit gesellschaftlich nützliche Produkte herstellen. Dafür sollten sie faire Löhne erhalten, die langfristig garantiert sind. Das geht nur durch eine tarifliche Bindung. Die Informationen, die Mitarbeiter meiner Initiative Work Watch e.V. zusammengetragen haben, zeigen allerdings typische Symptome des Union-Bustings gegen Kolleg*innen, und zwar deshalb, weil sie eine Tarifbindung einfordern. Ich appelliere an die Geschäftsführung und insbesondere den Mehrheitseigner Hans Georg Näder darauf hinzuwirken, dass den Kolleg*innen mit Respekt und Wertschätzung begegnet wird – und sie nicht für ihr betriebliches und gewerkschaftliches Engagement mit Abmahnungen und Kündigungen terrorisiert werden.“

Günter Wallraff, 30.Januar 2025

 

Abmahnungen an kritische Mitarbeiter, außerordentliche Kündigung von Betriebsräten, verweigerter Zugang zum Werksgelände für Gewerkschaftssekretäre: Bei Ottobock, dem Weltmarktführer für Prothesen und dem zweitgrößten Arbeitgeber in Südniedersachsen mit über1800 Beschäftigten, herrscht seit Monaten Ausnahmezustand. Grund dafür ist eine Auseinandersetzung zwischen der Geschäftsführung und den Betriebsrats- und Gewerkschaftsmitgliedern. Letztere wollen mit Unterstützung der IG Metall eine Tarifbindung im Unternehmen durchsetzen. Dagegen geht die Geschäftsführung massiv vor. Derart massiv, dass sogar wirtschaftsnahe Presseorgane wie „Business Insider“ oder die „Wirtschaftswoche“ nicht mit Kritik sparen: „Ottobock: Unternehmen setzt Manager auf Gewerkschafter an“ oder „Ottobock: So will die Geschäftsführung einen Betriebsrat loswerden“ lauten einige der Schlagzeilen.

 

Verschuldung auf Kosten der Belegschaft

Besonders bei Betriebsversammlungen geht es hoch her, wie bei der letzten im November 2024: Als die Leiter des vor kurzem gegründeten Vertrauensleutekörpers der IG Metall dort von der hohen Verschuldung des Konzerns berichteten und dem Gefahrenpotential für das Unternehmen, kam es zu Zwischenrufen der Personalabteilung. Das stimme alles nicht und überhaupt, was sich die Redner da anmaßen würden.

 

Tatsächlich entnahm trotz finanziell angespannter Lage der Mehrheitsgesellschafter Hans Georg Näder in den Jahren 2017 und 2018 erhebliche Summen aus dem Unternehmen. Ausschüttungen die auch in Jahren erfolgten, als Ottobock Verluste verzeichnete. Kritiker sehen hierin eine Belastung der finanziellen Stabilität des Unternehmens. „Näder führt einen exzentrischen Lebensstil und

setzt damit sein Unternehmen aufs Spiel“, schrieb etwa die Wirtschaftswoche im Juli vergangenen Jahres. Näder, Enkelsohn des Firmengründers Otto Bock und 2023 von der Unternehmensberatung Ernest & Young zum „Entrepreneur“ (Unternehmer) des Jahres gekürt, hat nicht nur durch Fehlinvestitionen wie die missglückte Übernahme der Firma Freedom Innovations in den USA Millionen in den Sand gesetzt. Auch seine Vorlieben für teure Autos, Schiffe und Kunst haben laut Wirtschaftswoche die finanzielle Situation des Unternehmens belastet. Im Bundesanzeiger kann man die Abschlüsse der Näder Holding, vormals Otto Bock Holding, einsehen. Sie ist die Muttergesellschaft der Ottobock-Gruppe; Kommanditisten sind Hans Georg Näder und seine beiden Töchter. Die Entnahmen und Dividenden, die sich die Gesellschafter*innen zwischen 2010 und 2022 ausgeschüttet haben, belaufen sich auf fast 600 Millionen Euro. Das sind rund 260 Millionen Euro mehr, als der Konzern im selben Zeitraum als Ergebnis nach allen Steuern verdient hat. Und die Wirtschaftswoche weist darauf hin, dass ein neues Darlehen über 1,1 Milliarden Euro, bei dem die Zinsen erst am Ende der Laufzeit fällig werden, Ottobock vor neue finanzielle Herausforderungen stellen könnte. Denn üblich seien bei solchen Darlehen Zinssätze von etwa zehn Prozent.

Ottobock weist die Verschuldungsprobleme zurück, die Belegschaft müsse sich keine Sorgen machen. „Missverständnisse darüber, dass der aufgenommene Kredit durch die Näder Holding eine Schuldenlast für Ottobock bedeuten würde, wurden intern aufgeklärt,“ heißt es dazu auf Anfrage von Work-Watch e.V.

Also doch große Harmonie bei Ottobock? Dazu passt nicht, dass die Geschäftsführung massiv gegen Betriebsräte und Gewerkschaften vorgeht. Das ist typisch: Besonders in einer angespannten Finanzsituation gelten sie als Kostentreiber – – ebenso wie eine tarifliche Bindung. Um die Forderung der Beschäftigten nach Tarifbindung zu unterlaufen, stellte die Geschäftsführung auf der Betriebsversammlung schließlich eine 4,5 Prozentige Lohnerhöhung in Aussicht.

„Welcher Eindruck soll hier entstehen?“ fragt Andreas Köppe, der zuständige Gewerkschaftssekretär. Eine Kollegin zeigte sich völlig erstaunt nach der Betriebsversammlung: „Ich bin schon 29 Jahre bei Ottobock, eine solche Jahres-Erhöhung hat es noch nie gegeben.“

Gewerkschaft belästigt Kolleg*innen?
„Die Kolleg*innen bei Ottobock identifizieren sich sehr mit ihrer anspruchsvollen Arbeit“, so Köppe, „und es ist völlig klar, dass zur Verbesserung der Arbeitnehmerrechte auch die Akzeptanz und Möglichkeit der gewerkschaftlichen Vertretung im Betrieb gehört..

Um die Position der Gewerkschaft bei Ottobock zu stärken, hatten die Mitglieder der IG-Metall im vergangenen Sommer einen 30-köpfigen Vertrauensleutekörper gewählt. Seitdem sorgen fehlende Tarifbindung, Recht auf Homeoffice und viele andere Themen regelmäßig für Gesprächstoff im Betrieb und die IG-Metall hat mehrere hundert neue Mitglieder gewinnen können. Der Geschäftsführung gefällt das nicht. In einem Schreiben vom 11.Oktober 2024 an die Führungskräfte des Unternehmens, das Work-Watch vorliegt, unterstellt sie Betriebsräten und Vertrauensleuten, sie würden „ein positives und störungsfreies Arbeitsklima“ verhindern. Angeblich, so der Vorwurf des Schreibens, fühlten sich Kolleg*innen durch die „ständige Ansprache“ genötigt.

„Unsere Führungskräfte wurden zu keinem Zeitpunkt dazu aufgefordert, Vertrauensleute der IG Metall oder Betriebsräte [..] zu beobachten“, schrieb die Presseabteilung von Ottobock auf die entsprechende Nachfrage von Work-Watch. e.V. Vielmehr diene das „interne Schreiben an unsere Führungskräfte dazu, ihnen bei Beschwerden ihrer Mitarbeitenden Hilfestellung seitens der Personalabteilung anzubieten.“ Als Beleg für ihre Behauptung zitiert die Presseabteilung aus dem internen Brief an die Führungskräfte: „Sollten Ihre Mitarbeitenden Ihnen Situationen oder Begebenheiten berichten, die eine Störung oder Unterbrechung der Arbeit oder des betrieblichen Ablaufs verursacht haben oder als unangenehm empfunden wurden, […]“ – eigenartigerweise bricht das Zitat hier ab. Da uns der komplette Brief vorliegt, können wir ergänzen: „kontaktieren Sie bitte unverzüglich Ihre/n HR Business Partnerin. Wir können etwas unternehmen, wenn wir von Ihnen über solche Zwischenfälle informiert werden.“

Ganz offensichtlich weist die HR (HR steht für Human Ressources – früher hieß das „Personalabteilung“) in diesem Schreiben also ihre Führungskräfte tatsächlich an, Informationen über gewerkschaftliche Diskussionen im Betrieb zu sammeln und nach Oben weiterzureichen, damit von dort „etwas“ unternommen werden kann.

Solch ein Schreiben sei ihm in seiner Zeit als Gewerkschafter „noch nicht untergekommen“, so Andreas Köppe. Wenn Ansprache schon als Störung eingeordnet werde und es Menschen nicht mehr erlaubt sei, miteinander zu reden, „wie sollen sie dann ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrnehmen?“

Nicht nur dieser Brief ist ein deutlicher Hinweis auf aktives Union-Busting im Betrieb. Auch bei der von Ottobock beauftragten Anwaltskanzlei Taylor-Wessing handelt es sich um eine bekannte Union-Buster-Kanzlei, die für ihr Vorgehen gegen Betriebsräte und Gewerkschaften berüchtigt ist.

Das längere Zeit verweigerte Zugangsrecht für den Gewerkschaftssekretär wird mittlerweile wieder gewährt, nachdem die Klage der IG Metall gegen das Unternehmen vor dem Gericht Ende des vergangenen Jahres mit einem Vergleich endete. „Dieses Zutrittsrecht wurde Herrn Köppe nicht verwehrt“, so die Pressesprecherin des Unternehmens, es habe lediglich „Meinungsverschiedenheiten über die ordnungsgemäße Unterrichtung des Arbeitsgebers“ gegeben. Das sah der betroffene Gewerkschaftssekretär freilich anders.

Und anders sehen es sicherlich auch die von Ottobock angegriffenen Beschäftigten, wenn die Pressestelle der Firma erklärt: „Ich kann Ihnen versichern, dass die Ottobock SE & Co. KGaA sich grundsätzlich weder arbeitsverfassungswidrig noch betriebsverfassungswidrig verhält.“„Auf die [..] gestellten Fragen [..] im Einzelnen“ wolle sie allerdings „nicht eingehen.“ Nämlich die zur Abmahnung des Leiters des Vertrauenskörperleiters der IG Metall und zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds.

Konstruierte Vorwürfe

Der VK-Leiter wurde abgemahnt, nachdem er einen kritischen Kommentar im Intranet gepostet hatte – die Geschäftsführung hatte den Text als „rufschädigend“ gewertet. Der Kollege hatte Missstände bei Ottobock angeprangert und über Kolleg*innen geschrieben, „die ohne Respekt behandelt werden. Denen mit Standortverlagerungen gedroht wird, um noch mehr Überstunden zu rechtfertigen. Die für ihre Knochenarbeit hier mit einem Hungerlohn nach Hause gehen. Wenn es Menschen gibt, die seit Jahren über Rückenschmerzen klagen, aber doch nie einen verstellbaren Schreibtisch bekommen.“ Der Betriebsrat würde hier tun, was in seiner Macht stehe. Aber wenn er mit Kollegen spreche, dann merke er, „dass das noch nicht reicht!“ Der betroffene Mitarbeiter klagte erfolgreich gegen seine Abmahnung.

Anhängig ist hingegen noch die außerordentliche Kündigung des Konzernbetriebsratsvorsitzenden. Ihm wirft die Geschäftsführung vor, dass er seine Geheimhaltungspflichten verletzt habe, weil er sich mit dem zuständigen Gewerkschaftssekretär über Exoskelette und eine geplante Umstrukturierungsmaßnahme unterhalten und in einem Bereich des Konzerns einen Kaffee getrunken habe, in dem externen Besuchern der Zutritt verwehrt sei.

Ottobock sieht darin eine schwere Vertragspflichtverletzung, zumal das Gespräch im unmittelbaren Sichtbereich mehrerer Prototypen stattgefunden habe. Da für Betriebsratsmitglieder ein besonderer Kündigungsschutz gilt, kann das Arbeitsverhältnis nur durch eine außerordentliche Kündigung beendet werden. Hierfür ist jedoch die Zustimmung des Betriebsrates nötig, die das Gremium verweigert. In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht einen Antrag auf die Ersetzung der Zustimmung stellen.

Der Anwalt des betreffenden Betriebsratsmitglieds erklärte gegenüber der Tageszeitung HNA, die Vorwürfe seien nicht haltbar, da der angebliche Sicherheitsbereich gar nicht gekennzeichnet gewesen sei. „Hinterher ein Zutrittsverbot zu konstruieren geht nicht“, sagte er. Es habe keine konkrete Gefährdungslage durch die Anwesenheit des Gewerkschaftsvertreters vorgelegen. Tatsächlich gehe es in dem Konflikt um die Betriebsrat- und Gewerkschaftsarbeit.

In der Güteverhandlung Mitte November des vergangenen Jahres regte der Richter an, die „Eskalationsebene“ nach unten zu verschieben und nach einer konstruktiven Lösung zu suchen. Der Anwalt von Ottobock machte allerdings deutlich, dass man auf der außerordentlichen Kündigung des Mitarbeiters mit 26 Jahren Betriebszugehörigkeit beharre. Der Kammertermin vor dem Göttinger Arbeitsgericht ist nun für Mai geplant.