Als „Great place to work“ sieht sich Mundipharma gern, als ausgezeichneter Arbeitgeber, bei dem jeder und jede gerne arbeitet und gut bezahlt wird. Die Auszeichnung, mit dem der Konzern auf seiner Website prominent wirbt, verleiht ein großes internationales Unternehmen mit eben diesem Namen, “Great Place To Work“. Die Vergabekriterien werden nicht offen gelegt, nur eins steht zweifelsfrei fest: Unternehmen müssen für den Titel zahlen. (http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/arbeitgeber-wettbewerbe-der-club-der-gewinner-a-782019-2.html). Mundipharma hat das Blendwerk offensichtlich bitter nötig, denn hinter der spiegelnden Fassade im Gewerbegebiet Dietkircher Höhe in Limburg leben manche Beschäftigte in einem Klima der Angst. Mit Willkür, Respektlosigkeit und Druck werden sie von Führungskräften drangsaliert. Verbriefte Rechte? Die gelten anscheinend für sie nicht.
Arbeitsrichter könnten ein Lied davon singen. Sie mussten sich in den letzten Jahren mit rund fünfzig Verfahren über jede Art von Mitbestimmung herumschlagen. Denn die Geschäftsleitung der deutschen Niederlassung des US-Pharmariesen, der unter anderem mit hochpreisigen Schmerzmitteln Millionen verdient, sieht den Betriebsrat als Störenfried. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Betriebsratsvorsitzende scheiterte zwar kläglich. Doch die Geschäftsleitung ließ nicht locker. Die letzte Betriebsratswahl brachte endlich die erhoffte Veränderung der bisherigen Mehrheitsverhältnisse. Kritiker dieser Wahl sagen, die Geschäftsleitung hätte die Wahl manipuliert. Es seien nur deshalb neue Mehrheiten im Betriebsrat entstanden, weil leitende Angestellte massiv die Wahlen und die Wahlentscheidung der MitarbeiterInnen beeinflusst hätten. Das wäre glatter Rechtsbruch und die Wahl deshalb zu wiederholen.
Am 16. Juli wurde die Klage des Betriebsrat vor dem Landesarbeitsgericht Frankfurt verhandelt und Zeugen gehört. Dabei standen dre Zitate im Mittelpunkt: Der amtierende Betriebsrat „behindert“ die Arbeit im Betrieb. Jeder, der die Betriebsratsvorsitzende wähle, begehe „Verrat am Betrieb“. Führungskräfte und außertariflich Beschäftigte sollten auf einer eigenen Liste selbst kandidieren, um für „eine neue Zusammensetzung des Betriebsrates zu sorgen“. So geäußert haben soll sich Martin Schöne, Personalchef der Niederlassung des US-Pharmariesen Mundipharma in Limburg, mit 900 Beschäftigten einer der größten Industriebetriebe in der Region. Und zwar am 15.Oktober 2013, bei einem sogenannten „Scheunentreffen“. Das ist Sondertreffen, zu dem der Personalchef außertarifliche Angestellte und Führungskräfte zwei bis dreimal im Jahr einlädt. Vor Gericht ging es nun darum, diese Aussagen und andere Vorwürfe zu belegen, die den Tatbestand der unrechtmäßigen Beeinflussung der Betriebsratswahlen durch die Geschäftsführung nach & 119 Betriebsverfassungsgesetz erfüllen. Der Personalchef bestritt selbstverständlich, solche Worte gewählt zu haben und konnte sich überhaupt nur an wenig Details erinnern. Auch Bernd Weller von der Großkanzlei Heuking Lüer Kühn Wojtek, der schon mehrere Verfahren gegen Betriebsräte geführt hat, behauptete als Anwalt des Unternehmens, es gebe „keinen Sachverhalt, der eine Wahlempfehlung belegt“ (Informationen auch bei aktion ./. arbeitsunrecht).
Dabei muss es bei diesem Scheunentreffen hoch her gegangen sein, denn noch in der Nacht, also nach dem Ende des Treffens, hatten sich vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rechtsabteilung des Konzerns verabredet, am nächsten Tag ein Gedächtnisprotokoll des Vorabends anzulegen, das sie anschließend konzernintern an die vorgesetzten Stellen weiterreichten. Das bestätigte eine der beiden heute erschienen Zeuginnen, die damals das Protokoll nach eigenen Aussagen „mit vielen Details und objektiv“ verfasst hat. Die Stimmung sei nach dem Abend insgesamt sehr „aufgebracht“ gewesen, denn das Treffen und die dort getätigten Aussagen des Personalchefs und damaligen Geschäftsführers seien gegenüber der damaligen Betriebsratsmehrheit eine „einseitige Beeinflussung“ und „unfair“ gewesen. Die Zeugin selbst, Volljuristin und bis heute Mitarbeiterin der Rechtsabteilung, hielt das Auftreten in einem von ihr verfassten Gutachten 2013 sogar für strafbar nach § 119 BVG.
Vor Gericht ruderte sie jedoch zurück und distanzierte sich. Bei der abermaligen Lektüre der auch dem Gericht vorliegenden Memos sei sie „erstaunt gewesen, über die Beeinflussung der BR-Wahlen gesprochen zu haben. Damals habe ich das so empfunden, heute sehe ich es anders.“ Auch habe ihr Personalchef nicht von „Behinderung“ der Betriebsabläufe durch den BR gesprochen, sondern nur von „Verlangsamung“. Die Juristin hatte selbst auch für die anfechtende Betriebsratsliste kandidiert, die jetzt, nach den Wahlen, zur Betriebsratsminderheit geworden ist.
Rechtsanwalt Tjark Menssen fragte für die klagende ehemalige Betriebsratsmehrheit, ob die Zeugin mit Mitgliedern der Geschäftsführung über ihre Zeugenaussage vor Gericht gesprochen habe. Sie stritt das ab und sagte, lediglich ihr direkter Vorgesetzter in der Rechtsabteilung habe sie darauf angesprochen. Das Gespräch sei aber allgemeiner Art gewesen, „über meine Aussage haben wir nicht geredet“. Die zweite Zeugin, die seit November 2013 nicht mehr bei Mundipharma arbeitet, konnte sich, obwohl physisch anwesend bei „Scheunentreffen“, an gar nichts mehr erinnern.
„Wir brauchen Aussagen von Zeugen, die an diesem Abend dabei waren, am besten eine Liste“, forderte Rechtsanwalt Menssen. „Wir führen aber keine Teilnehmerlisten“, entgegnete Personalchef Schöne. Zwanzig Personen kämen in der Regel – wer vor knapp zwei Jahren alles auf dem Treffen gewesen sei, daran könne er sich nicht im Detail erinnern.
Drei der geladenen Zeugen sind nicht zum Gerichtstermin erschienen – angeblich wegen Urlaub und Erkrankung. Eine mutmaßlich erkrankte Kollegin wurde jedenfalls einen Tag zuvor noch im Betrieb gesehen, so Rechtsanwalt Menssen.
Sie wird erneut geladen: Der nächste Gerichtstermin ist für 9:30 Uhr am 12.11.2015 vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt angesetzt. Insgesamt sollen bis zu zehn Zeuginnen und Zeugen verhört werden, anschließend werden die Anwälte der Parteien plädieren und der Richter voraussichtlich das Urteil sprechen.
Munidpharma hat Probleme…
… nicht nur mit einer Betriebsratswahl, sondern auch weil der Gebrauch des Mundipharma-Mittels Oxycontin zu wahrscheinlich tausend Todesopfern in den USA geführt hat. Drei leitende Angestellte wurden am Hauptsitz des Unternehmens in Stamford verurteilt, die Firma erhielt eine Bewährungsfrist von 5 Jahren, in der nichts Negatives geschehen durfte; …weil die Branche sogar in Deutschland wegen ihrer exorbitanten Gewinnspannen langsam unter Druck gerät; …weil z.B. ein Medikament Herstellungskosten von 5 Euro verursacht und für 100 Euro verkauft wird; …oder weil dasselbe Schmerzpflaster, das Mundipharma wegen angeblich längerer Wirkdauer für den doppelten Preis unter die Leute bringt wie Grünenthal, ohne jeden Unterschied aber auf derselben Produktionslinie in Neuwied gefertigt wird wie das des Konkurrenten. Dieses in der Pharmaindustrie üblichen Geschäftsgebaren machen selbst die deutsche staatliche Fachaufsicht stutzig, die sonst gern für die Branche jede Lanze bricht, wenn es gilt, schärfere Kontrollen des Preisgebarens zu verhindern. (Wer näher in die Materie einsteigen will, dem ist der Krimi von Wolfgang Schorlau, „Die letzte Flucht“ sehr zu empfehlen; http://www.schorlau.com/Materialien.html.)
Weil alles nicht mehr so golden ausschaut wie in der Vergangenheit, klafft wohl im Jahre 2016 eine Deckungslücke von etwa 30 Millionen Euro im deutschen Budget von Mundipharma. Nicht zuletzt, weil einige Pharmazeutika frei werden und Generika auf den Markt drängen. 200 Arbeitsplätze sollen zur Gegenfinanzierung auf dem Spiel stehen.
Great place?
Glaubt man den Äußerungen einiger MitarbeiterInnen, sieht es mit Gehalt und allgemeiner Wertschätzung in diesem Unternehmen gut aus. Der Verdienst ist überdurchschnittlich, die Pharmabranche macht Milliardengewinne – noch – und da fällt einiges bei den Untergebenen ab.
Wie ist es aber zu erklären, dass ein Unternehmen mit derartig hohen Gewinnen Beschäftigten krankheitsbedingt kündigt oder eine alleinerziehende Mutter mit einem behinderten Kind mit Kündigung bedroht, wenn sie nicht so funktioniert, wie es von ihr erwartet wird: jederzeit flexibel im Interesse des Profits? Warum muss eine andere Mutter wegen Mobbings vor Gericht ziehen, erhält dort sogar zwei Mal Recht und wird trotzdem weiter drangsaliert? Wie ist der plötzliche Geiz zu erklären, der die Zuständigen befällt, weil endlich mal ein Außendienstmitarbeiter seine tatsächlichen Überstunden aufschreibt und bezahlt bekommen will? Warum wird MitarbeiterInnen, die zum Personalgespräch zitiert werden, geraten, sie sollten nicht die Betriebsrätin ihres Vertrauens mitbringen? Wie ist die schier unglaubliche Abmahnung einer Mitarbeiterin zu verstehen, weil sie der Rede eines Vorgesetzten nicht applaudiert habe? Warum haben zahlreiche MitarbeiterInnen das Unternehmen fluchtartig verlassen und geringste Abschlagszahlungen in Kauf genommen, nur damit sie gehen können?
Seit einigen Jahren zeigt sich trotz schwieriger Lage auf dem Arbeitsmarkt eine vorher im Unternehmen nie gekannte Fluktuation. Die Personalführung, so sagen einige im Unternehmen, die solche Erfahrungen machen mussten, sei strukturell autoritär, ja diktatorisch und auf Entwürdigung derer angelegt, die „abweichen“, Mundipharma sei eine Schlangengrube. Kann es sein, dass in einem Unternehmen, in dem moralisch nicht vertretbare Gewinnspannen generiert werden, auch im Umgang mit MitarbeiterInnen, jedenfalls dann, wenn sie nicht passen oder hineinpassen, z.B. in die Vorstellungen oder Vorgaben oder Forderungen von Vorgesetzten, unmoralisch agiert?
Reine Spekulation? Oder im Kern zutreffend? Immerhin hat es bei den Denison Workshops für Mundipharma-Mitarbeiter zahlreiche Einträge gegeben, was Beschäftigte in diesem Unternehmen zu kritisieren haben. Ein Auszug: „Sexuelle Belästigung und übermäßigen Alkoholkonsum durch Führungskräfte, ohne Konsequenzen; Vetternwirtschaft; Mitarbeiterinteressen werden durch aktuellen Betriebsrat nicht vertreten; keine Möglichkeit der freien Meinungsäußerung wenn kritisch; brutaler Umgang mit Langzeiterkrankten durch Stellenbesetzungskommission; respektloser Umgang vor der Stellenbesetzungskommission…“
Bleierne Zukunft
Mundipharma hat auch, aber bei Lichte gesehen, nicht nur ein Problem mit der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden. Dass die Geschäftsleitung deren Wiederwahl verhindern wollte und dabei mit übler Nachrede und Drohungen arbeitete, hat das schon in erster Instanz zur Sprache gebrachte Protokoll des „Scheunentreffens“, eines Treffens von Führungskräften, deutlich gemacht, in dem die Anwesenden zur massiven und ungesetzlichen Einflussnahme auf die Wahlen verdonnert wurden. Dem Arbeitsgericht der ersten Instanz wurde dieses Protokoll allerdings nicht vorgelegt, obwohl der Prozessvertreter der Firma es höchstselbst verfasst hatte. Dem Landesarbeitsgericht Frankfurt, der nächst höheren Instanz, ist es bei seiner ersten Sitzung überreicht worden, sie wird schon allein deshalb wahrheitsnäher urteilen können.
Und was, wenn in Frankfurt der Klage stattgegeben wird? Dann darf und muss der Betriebsrat neu gewählt werden. Aber automatisch ändert das gar nichts an den Zuständen im Unternehmen. Es wird darauf ankommen, ob den Beschäftigten klar wird, was künftig bei Mundipharma auf dem Spiel steht und was geändert werden muss. Auf dem Spiel steht das bislang unangetastete Gehaltsniveau und auf dem Spiel stehen Arbeitsplätze. Geändert werden muss die würdelose Behandlung von Beschäftigten, die ihre individuellen Rechte einfordern. Umso mehr, als zukünftig härtere Schläge, die das Unternehmen austeilen wird, nur mit aufrechter Gegenwehr möglichst aller Beschäftigten abgewendet werden können.
Betriebsratsfeindlich
Der Kampf, den Mundipharma gegen die alte Betriebsratsmehrheit und ihre Vorsitzende führt, hat in diesem Unternehmen offensichtlich System. Und richtet sich im Kern gar nicht gegen eine besonders aktive und hart verhandelnde Betriebsrätin, sondern generell gegen die gewählte Interessenvertretung der Beschäftigten. Dann zumindest, wenn sie ihren Aufgaben nachgeht. Eine verwegene These?
Im „Handbuch für Führungskräfte“ von Mundipharma findet sich der Abschnitt „Umgang mit Betriebsratsmitgliedern“, der von einer betriebsratsfeindlichen Grundstimmung durchzogen ist. Erarbeitet hat ihn im Auftrag der Unternehmensleitung die einschlägige Arbeitgeberkanzlei „Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek“.
„Sofern also ein wichtiger Kundentermin oder eine wichtige interne Besprechung ansteht, können Sie sehr wohl ein Betriebsratsmitglied darauf hinweisen und in Frage stellen, ob die Betriebsratstätigkeit gerade jetzt erforderlich sei. Sie dürfen allerdings dem Betriebsratsmitglied die Betriebsratstätigkeit nicht untersagen. Setzt das Betriebsratsmitglied sich allerdings über Ihren Hinweis hinweg, so bitten wir Sie um eine unverzügliche Meldung an die Personalabteilung, im Einzelnen den Personalleiter bzw. den Leiter Human Resources Management, unter ausführlicher Darlegung des Sachverhaltes.“
Das klingt nicht freundlich und auch nicht darauf bedacht, die Arbeit von Betriebsräten zu akzeptieren. Aber es kommt noch deutlicher. Das Handbuch macht die Führungskräfte bei Konflikten mit Betriebsräten regelrecht „scharf“ und schreibt:
„Sofern ein Betriebsratsmitglied auf eine Ihrer Weisungen so reagiert, dass er beispielsweise die Rechtswidrigkeit der Weisung geltend macht, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates geltend macht, sich weigert, diese auszuführen, oder Ihnen vorschreiben möchte, welche Weisungen Sie stattdessen zu erteilen haben, darf dies Ihre Handlungen nicht beeinflussen. (…) Wir erwarten daher in solchen Situationen von Ihnen, dass Sie (…) zunächst weiter an der Weisung festhalten und das Betriebsratsmitglied zu deren Befolgung anweisen und zugleich in Aussicht stellen (und dieses auch tun), die Personalabteilung, im Einzelnen den Personalleiter bzw. den Leiter Human Resources Management, mit dem Sachverhalt unverzüglich vertraut zu machen.“
Geschäftsführer Dietmar Leitner behauptet in seiner Email vom 15.6. 2015, Mundipharma habe „eine offene und transparente Kommunikation“ gestartet. Die Anweisungen an Führungskräfte, wie sie mit dem Betriebsrat umzuspringen haben, ist das Gegenteil, eine Kampfansage: „Einen ‘Betriebsrat des Vertrauens’ gibt es nicht. Einzelne Betriebsratsmitglieder können daher keine Betriebsratsrechte einfordern“ (Handbuch).
„Vertrauen“ in Betriebsräte sollen die Beschäftigten von Mundipharma nicht entwickeln. Das ist die Kernbotschaft dieses Handbuchs. Wenn es doch dazu kommt, sind die Vorgesetzten gehalten, entstehendes Vertrauen sofort zu zerstören. Das ist eine bekennende, offen betriebsratsfeindliche Personalführung. Handbücher wie das zitierte und Anwälte wie die genannte Kanzlei zeigen, dass Mundipharma von der Anerkennung demokratischer Rechte der Belegschaft und ihrer Vertretung weit entfernt ist.