13. November 2020

Abschiedsbrief einer Bauhaus-Betriebsrätin an die Kolleg*innen

 

(gk) Mehr als zehn Jahre hat sie in einer Bauhausfiliale gearbeitet. Die letzten drei Jahre war sie Betriebsrätin. Bei Bauhaus ist das etwas besonderes, denn bei dem Heimwerkermarkt, dessen deutsche Geschäftsführung auch von „betriebsratsverseuchten Filialen“ spricht, gibt es nicht viele Betriebsräte. Dann, nach zahllosen Abmahnungen, Kündigungen und Arbeitsgerichtsverfahren – einschließlich Bespitzelung und Verleumdung durch einzelne, vom Arbeitgeber beauftragten Mitarbeiter*innen – wollte sie nicht mehr an ihre alte Arbeitsstelle zurück. Sie hätte sich zum zweiten Mal wieder einklagen können. Entschied sich dann aber – auch, um ihre eigene Gesundheit zu schonen – für eine Bewerbung bei einem anderen Arbeitgeber.

Sie ist nicht gerne gegangen. Ihren ehemaligen Kolleg*innen will sie Mut machen, den Kampf gegen unakzeptable Arbeitsbedingungen und für einen Betriebsrat, der den Namen verdient, weiter zu führen. Wir von Work-Watch haben sie drei Jahre lang begleitet. Hier ihr Abschiedsbrief.

„Ich gehörte zur ersten Belegschaft, als das Haus eröffnete. Von meinen alten Kolleg*innen sind nicht mehr viele übrig. Und das hat Gründe.

Schon nach wenigen Wochen hatten wir alle gemerkt, nach welchem System bei uns gearbeitet wird. Die Geschäftsführung hatte mehr Mitarbeiter*innen eingestellt, als wir eigentlich brauchten. Diejenigen, die dem Geschäftsführer nicht in den Kram passten, wurden regelmäßig Samstags in sein Büro gerufen und erhielten dann ihre Kündigung. Einige fristlos, für die anderen hat sich der Geschäftsführer Gründe aus den Fingern gesaugt. Einige Kolleg*innen wurden sogar zur Selbstkündigung genötigt.

Auch die Auszubildenden wurden regelrecht verheizt. Die „Ausbildung“ stand nicht unbedingt an erster Stelle. Einige mussten auf Anordnung ihrer Vorgesetzten tagelang Regale ein- und ausräumen, bekamen kaum Unterweisungen, mussten den Boden fegen oder andere Reinigungsarbeiten verrichten und sahen dadurch ihr Ausbildungsziel in Gefahr. Wer nicht mitspielte, wurde auch nicht übernommen. Aber auch die anderen konnten beim ersten Konflikt mit der Geschäftsführung schnell auf die Abschussliste kommen.

Trotz der schleichenden Angst um den Arbeitsplatz regte sich Widerstand: Diese Willkür, diese „ Nasenpolitik“ der Geschäftsführung wollten wir ändern. Also trafen wir uns mit dem erfahrenen Betriebsrat einer anderen Filiale.

Unser Ziel: Selbst einen Betriebsrat gründen. Unsere Kolleg*innen aus der anderen Filiale und unser Anwalt warnten uns vor: das würde kein Spaziergang werden.

Auf der ersten, von uns angeleierten Betriebsversammlung haben wir einen Wahlvorstand gewählt. Aber die Geschäftsführung wollte alles im Keim ersticken und hat diese Wahl sofort angefochten. Sie haben behauptet, wir wollten dem Betrieb schaden und die Abstimmung sei nicht rechtens gewesen. Wir zogen vor Gericht und mussten fast 1,5 Jahre prozessieren, um überhaupt einen Wahlvorstand gründen zu dürfen. Die Anwälte der Geschäftsführung ließen unter anderem Termine verschieben, zogen nach unserem Empfinden eine Entscheidung in die Länge. Gleichzeitig wurden in der Filiale Gerüchte gegen einzelne von uns gestreut und Personen aus dem Mitarbeiterstab der Geschäftsführung auf uns angesetzt. Mein Abteilungsleiter etwa beobachtete mich ununterbrochen bei der Arbeit und sorgte dafür, dass andere nicht in meiner Nähe waren und ich mit ihnen reden konnte. Ein Geschäftsleiter sagte mir sogar, er werde mich und alle anderen Kandidaten für einen Betriebsrat „vernichten“. Ich entgegnete ihm, dass ich für unser Recht auf einen Betriebsrat bis vor das Bundesarbeitsgericht ziehen würde.

Erst 2017 bekamen wir Recht vorm Arbeitsgericht, die Organisation der Betriebsratswahl begann, ein Termin wurde festgelegt. Die Wahlbeteiligung war überwältigend: Alle Kolleginnen und Kollegen haben ihre Stimme abgegeben. Für uns ein klares Zeichen, dass die Zeit für einen Betriebsrat (BR) reif war. Von unserer Liste kamen zwei als ordentliche Mitglieder in den BR, eine war Nachrückerin.

Nach der Wahl ging es gleich weiter mit Angriffen durch die Geschäftsleitung. Die Dienstpläne wurden oft so erstellt, dass sie mit unseren BR-Sitzungen kaum vereinbar waren. Die Schichten waren so knapp geplant, dass wir den Zorn einiger Kolleg*innen auf uns zogen, wenn wir zur BR-Sitzung gingen. Sie mussten dann ja unsere Arbeit mitmachen. Erklärungsversuche und Gespräche mit den Kolleg*innen endeten häufig mit der Frage: „Was macht ihr überhaupt in den Sitzungen?“. Ihre Frage war mehr als berechtigt, denn viel brachten die Sitzungen ihnen tatsächlich nicht.

Denn nach und nach entpuppten sich die meisten BR-Mitglieder als U-Boote der Geschäftsführung. Die Sitzungen zogen sich regelmäßig in die Länge, weil wir immer gegen die Betriebsratsmehrheit argumentieren mussten. Das heizte den Unmut weiter an. Alles, was unseren Kolleg*innen zum Vorteil werden könnte, lehnten diese Mitglieder ab. Zum Beispiel unsere Forderung, die Dienstpläne langfristiger und mitarbeiterfreundlicher zu gestalten, damit unsere Kolleg*innen ihr Privatleben und Beruf besser vereinbaren könnten. Eine ihrer Lieblingsbegründungen: „Das genehmigt die Geschäftsleitung nie“. Anstatt bei schwierigen Konflikten die Einigungsstelle anzurufen, wollten sie lieber den Geldbeutel unseres Chefs schonen: „Das kostet zu viel Geld“, hieß es.

Mehrere Auszubildende hatten sich an einzelne BR Mitglieder gewandt. Wir rieten ihnen, ihre Probleme in einer BR-Sitzung vorzutragen. Das wollten sie aber nicht. Aus Angst . Wir boten ihnen an, stattdessen einen Bericht zu schreiben, ohne Nennung des Namens. Dafür wurde ich um Hilfe gebeten. Ich bekam die Fakten per Mail zugeschickt, habe nur die Reihenfolge einiger Sätze verschoben und den zwei Azubis zum Korrekturlesen gegeben. Sie gaben die korrigierten Berichte zur Vorlage frei. Auch das Gremium, der BR, war mit der anonymen Bearbeitung einverstanden und berichtete der Geschäftsleitung. Diese gab schließlich Fehler im Umgang mit den Azubis zu, und wollte künftig den Lehrauftrag befolgen.

Aber es blieb nicht lange ruhig: Nach einigen Wochen kam das Thema wieder auf die Tagesordnung, da sich der Azubi-Beauftragte, der eigentlich für die Unterweisung der Lehrlinge verantwortlich war, plötzlich durch meine Bearbeitung des Sachverhaltes im Betriebsrat angegriffen fühlte.

Auf einmal hagelte es Beschwerden von den Azubis – und das über eine Sache, die eigentlich längst erledigt war. Sie behaupteten, ich hätte die Vorwürfe frei erfunden. Gleichzeitig versprach die Geschäftsleitung den Azubis, sie würden nach ihrer Ausbildung übernommen. Eine der beiden sollte sogar eine besondere berufliche Förderung erhalten. Auch wenn das bis heute nicht passiert ist: die junge Kollegin fing an, gegen mich zu agieren. Sogar auf Facebook behauptete sie, ich hätte mir das alles ausgedacht, um dem Azubi-Beauftragten zu schaden. Man legte mir einen Aufhebungsvertrag vor, forderte die Niederlegung des BR-Mandats. Ich tat dies nicht, informierte aber in einem Aushang meine Kolleg*innen über diesen Vorfall. Der wurde sofort entfernt, ich hing ihn wieder auf, dann war er gleich wieder verschwunden. Anschließend gab es eine schriftliche Beschwerde über diesen Aushang von der Geschäftsleitung, dass mein Aushang nichts am schwarzen Brett verloren hätte, ich Lügen verbreiten würde und ich das künftig unterlassen solle. Eine Kollegin, die den Aushang zusammen mit mir unterzeichnet hatte, erhielt keine Ermahnung. Am 17.12. 2017, mitten im Weihnachtsgeschäft, bekam ich dann die erste fristlose Kündigung wegen „Störung des Betriebsfriedens“.

Es wurde das Gerücht gestreut, ich hätte Hausverbot. Ich habe dennoch weiter die Kolleg*innen in der Filiale aufgesucht, ohne dass mich irgendjemand hinausgeworfen hätte. In dieser Zeit bekam ich mehr über die Sorgen und Nöte meiner Kolleg*innen mit als der eigentliche Betriebsrat. Sie beschwerten sich bei mir über Abmahnungen, über die Dienstpläne, Überstunden und über weitere, angebliche „Eigenkündigungen“ von Mitarbeiter*innen.

Nachdem mein Kündigungsverfahren durch sämtliche gerichtliche Instanzen gegangen war, bekam ich eineinhalb Jahre später, im März 2019, Recht vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Bauhaus musste mich wieder einstellen und ich trat meine Arbeit im April wieder an.

Aber trotz des höchstrichterlichen Urteils war die Geschäftsleitung nicht besänftigt und wollte sich an mir rächen. Sie hat mich dauerhaft an die Kasse strafversetzt, dabei waren in meinem Arbeitsvertrag ganz andere Aufgaben beschrieben. Eigentlich war ich eingestellt als Mitarbeiterin im Verkauf und Beratung, nur mit gelegentlicher Kassierertätigkeit in Ausnahmefällen. An der Kasse wurde ich regelrecht ausgegrenzt: Fast immer musste ich an einer Kasse sitzen, obwohl stundenlang so gut wie keine Kunden kamen. Andere Mitarbeiter*innen wurden von mir ferngehalten, ich saß immer an einer Kasse in Randlage und durfte mich nicht weg bewegen.

Gegen diesen Zustand habe ich geklagt. Ich wollte einfach wissen, ob das rechtens ist, was die Geschäftsleitung da mit mir macht. Auch andere Kolleg*innen wurden an die Kasse „strafversetzt“, wenn sie in Ungnade gefallen waren.

Die Betriebsratsarbeit lief äußerst schleppend. Zu notwendigen Seminaren schickte man mich nur widerwillig, wohl auch weil ich zu Seminaren wollte, die von der Gewerkschaft organisiert waren. Auch wenn ich lange Anfahrtswege zu den Seminaren hatte, wurde mir eine Übernachtung verweigert. Der Geschäftsleitung nahestehenden Mitarbeiter*innen wurden die Übernachtungen immer genehmigt, selbst wenn die Seminare an ihrem Wohnort waren. Gegen die Mehrheit der Kolleg*innen, die im Gremium vor allem die Interessen der Geschäftsführung und nicht die der Belegschaft verfolgten, konnte ich und meine Mitstreiterin wenig ausrichten. Unsere Betriebsvereinbarungen gingen nie über die gesetzlichen Mindestregelungen hinaus und dafür braucht man ja eigentlich gar keine auszuhandeln. Eine reine Alibi-Veranstaltung. Aber ich habe meinen Mund nicht gehalten, habe immer wieder versucht, mit den Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen und auch gegen die Interessen der Geschäftsführung die Probleme der Mitarbeiter*innen im Betrieb zur Sprache zu bringen. Das brachte mir dann erneut eine Kündigung ein, meine letzte.

Auch wenn ich nicht mehr dabei bin, mich entschieden habe, nicht mehr ins Unternehmen zurückzukehren, bin ich dennoch überzeugt: Es hat sich gelohnt, diesen Kampf aufzunehmen. Mit Betriebsratsarbeit machst Du Dir bei vielen Geschäftsleitungen sicher keine Freunde, aber Du kannst Mitarbeiter*innen zum Zusammenhalt bewegen. Das ist uns ansatzweise gelungen. Nur waren wir leider zu wenige.

Die permanenten Drohungen der Geschäftsleitung mit Jobverlust oder Zwangsversetzung haben viele Mitarbeiter*innen in Angst versetzt. Ich kann jeden verstehen, der Angst hat. Aber die kann nur dann wirklich greifen, wenn man alleine steht, keinen Rückhalt hat in der Belegschaft. Hätten mehr von uns an einem Strang gezogen und für ihre Rechte gekämpft, wären wir sicher erfolgreicher gewesen und hätten mehr bewegen können.

Kurzum: Ich hätte mir mehr Unterstützung von den Kolleg*innen gewünscht, die nicht im Betriebsrat waren. Nur mit dem BR alleine kann man keinen Blumentopf gewinnen, kaum etwas durchsetzen. Vor allem wenn man immerzu gegen eine BR-Mehrheit arbeiten muss, die sich der Geschäftsführung und nicht den Kolleg*innen verpflichtet fühlt.“