Folgender Bericht erschien am 28.11. 2023 im “express”, einer Boulevard-Zeitung in Köln:
In der Y-Halle der Ford-Werke in Köln wurden seit 1976 rund neun Millionen Fiesta-Modelle produziert.
Ein Auto zu bauen ist harte Arbeit. Mehrere Ford-Arbeiter klagen gegen das Unternehmen, weil sie sich angeblich kaputt geschuftet haben. Die Rede ist von „schwersten Schädigungen“.
Der in Köln ansässige Verein „Work Watch“ hat sich der Klagen mehrerer aktiver und Ex-Ford-Mitarbeiter angenommen. Sie werfen dem Unternehmen vor, durch die Produktionsbedingungen bei der Montage des Fiesta teils massive Gesundheitsschäden erlitten zu haben.
Die Arbeiter waren vor dem Kölner Arbeitsgericht mit ihren Klagen auf Schadenersatz gescheitert, da die Richter keine hinreichenden Belege für eine Kausalität zwischen den aufgeführten Krankheitsbildern und den Produktionsbedingungen feststellten.
Brief an Ford-Manager: „Schwerste Schädigungen“
In einem Fall heißt es, es sei „nicht hinreichend feststellbar“, dass die Beklagten „vorsätzlich eine Gesundheitsschädigung des Klägers (…) billigend in Kauf genommen haben.“ Der Verein „Work Watch“ sieht die Vorwürfe damit aber nicht ausgeräumt. Im Gegenteil: Der Verein hat sie öffentlich gemacht. „Work Watch“ wird von Günter Wallraff gefördert.
Die Klagen betreffen den Bereich der Rücksitz-Montage. Im Laufe dieses Jahren hatten Wallraff verschiedene Berichte von Arbeitern erreicht, die in den vergangenen sechs Jahren in diesem Fertigungsabschnitt beschäftigt waren.
Wallraff sagt, er habe die Schilderungen aus dem Innersten des „Weltkonzerns Ford“ zunächst „mit einer gewissen Zurückhaltung“ aufgenommen.
Doch in einem Brief an leitende Manager des Autobauers schreibt der Investigativjournalist nun, dass er nach Prüfung vorliegender interner Dokumente und eidesstattlichen Versicherungen von Betroffenen zu einem schwerwiegenden Fazit gekommen ist:
„Nach meinem jetzigen Kenntnisstand haben an dem fraglichen Arbeitsplatz tatsächlich seit vielen Jahren zahlreiche Arbeitnehmer schwerste Schädigungen im Nacken- und Schulterbereich, an der Wirbelsäule und an den Knien erlitten. Einige dieser Arbeitnehmer sind durch den Arbeitseinsatz dort erkrankt und bleiben unter Umständen ihr Leben lang gezeichnet.“
Er befürchte, die „dafür verantwortlichen Arbeitsschutzmängel“ könnten in der neuen Produktionslinie des Ford-Explorer bestehen bleiben. Der Start der Serienproduktion des Elektroautos ist für den Sommer 2024 vorgesehen.
Laut „Work Watch“ hätten im Fall der Fiesta-Klagen alle Gerichte eine ausführliche Beweisaufnahme und die Herbeiziehung fordinterner Akten verweigert: „Kein Gericht ließ Zeugenaussagen von Mitarbeitern zu, die von den Klägern benannt worden waren.“
Albrecht Kieser, Leiter von „Work Watch“, sagte gegenüber EXPRESS: „Die Arbeiter erzählen alle das Gleiche. Dass die Arbeit körperlich unzumutbar war. Viele haben schon nach einer Stunde aufgegeben, manche haben Tage durchgehalten, manche aber auch Monate oder ein Jahr oder zwei.“ Bei der ab 2017 gebauten letzten Generation des Fiesta seien die Rücksitze am schwersten gewesen.
„Einbau der Sitze war immer eine schwere Tätigkeit“
Ein langjähriger ehemaliger Betriebsrat, namentlich bekannt, habe ihm versichert: „Der Einbau der Sitze war immer eine schwere Tätigkeit, egal ob bei Capri, Granada oder Fiesta. Der Krankenstand bei den Kollegen, die mit dieser Arbeit beschäftigt waren, war immer sehr hoch.“
Einer der heute klagenden Arbeiter ist Bilal Uzun (49). Er habe, eingesetzt über die Zeitarbeitsfirma Randstad, über einen Zeitraum von zehn Wochen in der Rücksitz-Montage gearbeitet, obwohl die Bestimmungen verlangten, dass hier eingesetzte Arbeiter mindestens 1,80 Meter groß sind.
Bilal Uzun misst 1,72 Meter. Für die Montage vor allem beim 3-Türer sei das ein schwerwiegendes „Defizit“, da der am Wagenheck stehende Arbeiter sich vorbeugen und die je nach Material (Stoff oder Leder) zwischen 17 und bis zu 22 Kilo schweren Rückbänke in den Fonds wuchten und in den vorgesehenen Arretierungen befestigen musste – auf den Zehenspitzen stehend, wie Bilal Uzun betont.
Zuvor hätten er und seine Kollegen die Rücksitzbänke plus den jeweiligen Einzelsitz von einem acht Meter entfernten Transportband zur Karosserie schleppen müssen.
Ein dafür eigentlich vorgesehener Handkran (Manipulator) sei entweder nicht einsatzfähig gewesen, oder es sei bei seiner Verwendung die Taktzeit am Fließband nicht einzuhalten gewesen. Die habe 56 Sekunden betragen – Angaben von Ford-Vertretern vor Gericht, die Taktzeit habe bei 78 Sekunden gelegen, widersprechen die betroffenen Mitarbeiter.
In einem unternehmensinternen Report der Ergonomie-Abteilung ist festgehalten, dass es bei der Rücksitz-Montage zu einer Rotation kommen müsse. Konkret heißt es im Papier: „Mitarbeiter nicht länger als zwei Stunden dort einsetzen und die darauf folgende Tätigkeit darf kein Heben und Tragen beinhalten“.
Ford-Monteur in Köln schildert: „Band wurde oft gestoppt“
Diese Bestimmungen seien aber, so behaupten es mehrere Arbeiter, größtenteils nicht eingehalten worden. Bilal Uzun schildert die Folgen: „War man alleine, ermüdete man nach zwei Stunden. Man konnte die Sitze nicht mehr tragen, sie fielen zu Boden. Am Tag wurde das Band daher bis zu zehn Mal gestoppt.“ Er habe in einem Monat in der Rücksitz-Montage „B System“ neun Stunden täglich gearbeitet, an 340 Autos einen großen und einen kleinen Sitz, insgesamt 680 Sitze eingebaut.
Im Falle eines weiteren Arbeiters, Michal S., der über eine ausreichende Körpergröße verfügt (1,88 Meter), aber zwei Jahre im kritischen Produktionsabschnitt beschäftigt war, schreibt dessen Anwalt:
„Zur Verdeutlichung: Eine Kiste Cola oder Bier mit 24 mal 0,33 Glasflaschen wiegt ca. 16,7 Kilogramm. Klappt man nun die Rücksitzbank eines Ford Fiesta um, so wäre es die Aufgabe des Klägers die Kiste Cola frei schwebend bis zum Umklapppunkt der Rücksitzlehnen, also hinter den eigentlichen Kofferraum zu wuchten. Es wird hier ohne weiteres deutlich, dass diese Arbeitshaltung gesundheitsschädlich für Rücken, Wirbelsäule und Schulter ist. Zumal wenn man den Zeitraum von acht bis neun Stunden und die hohe Anzahl der Sitze (340 bis 350) berücksichtigt.“
Ford äußert sich: „Halten die Vorgaben ein“
Was ist dran an den Vorwürfen von Arbeitsschutzmängeln bei Ford? Unternehmenssprecherin Ute Mundolf teilte EXPRESS auf Nachfrage mit, dass Ford den Arbeits- und insbesondere den Gesundheitsschutz seiner Beschäftigten „sehr ernst“ nehme und „alle diesbezüglich erforderlichen Schutzmaßnahmen“ ergreife.
Ford halte die gesetzlichen Vorgaben ein und gehe „mit den eigenen Bestimmungen sogar zum Teil – zum Schutz unserer Beschäftigten – über diese noch hinaus. So hat jeder Produktionsbereich zum Beispiel einen eigenen Ergonomie-Beauftragten, der sich ausschließlich um die Ergonomie der Arbeitsplätze in seinem Betreuungsbereich kümmert.“
Die Sprecherin weiter: „Wir haben den von Work Watch angesprochenen Sachverhalt, den Einbau von Rücksitzbänken, nicht nur gerichtlich, sondern auch innerbetrieblich, umfassend prüfen lassen; von den in Rede stehenden Arbeitsplätzen geht keine Gesundheitsgefährdung aus.“ In der Endmontage im Fordwerk in Niehl arbeiten rund 2700 Beschäftigte.