Solidarität gefragt: 14.März, 10:30 Arbeitsgericht Heidelberg
(gk) Lange hat der Dosieranlagenhersteller ProMinent den Eindruck erweckt, der ehemalige Betriebsratsvorsitzende sei verantwortlich dafür, dass es Ärger gibt im Unternehmen. Nun ist der angebliche Störenfried aus dem Betrieb ausgeschieden – und nichts wird besser. Der Feĺdzug der Geschäftsführung gegen unbequeme Betriebsratsmitglieder hört nicht auf: Am 14.3. steht vor dem Arbeitsgericht in Heidelberg erneut ein Termin an. Diesmal fordert einer der mittlerweile erkrankten Betriebsräte seinen Lohn ein, den er seit Dezember nicht mehr ausgezahlt bekommen hat. Die Benachrichtigung über den Lohnentzug hatte er sozusagen als „Weihnachtsgeschenk“ erhalten, kurz vor den Feiertagen. Der Konzern, der auch dem Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger gehört, eskalierte anschließend noch weiter: Anfang Januar erhielt der Betriebsrat eine schriftliche Aufforderung, sogar Teile seines Novembergehaltes zurück zu bezahlen. Begründung: er habe durch wiederholte Krankschreibung die maximal mögliche sechswöchige Lohnfortzahlung überschritten. Schikane, so zeigt sich der Betroffene und seine Gewerkschaft überzeugt.
Nach außen hin erzählt die Geschäftsführung weiterhin das Märchen vom bösen Ex-Betriebsratsvorsitzenden und lobte Ende des letzten Jahres in einem Interview mit der Rhein Neckar Zeitung die gute Zusammenarbeit mit dem neuen Betriebsrat. Dem alten Betriebsrat wirft sie hingegen „Prinzipienreiterei“ vor, „die für ganz große Probleme gesorgt“ habe. Engagierte Betriebsräte sehen das anders, auch bei ProMinent: die „ganz großen Probleme“ entstehen etwa durch geplante Veränderungen im Betrieb, die zu tiefgreifenden Umstrukturierungen oder der Auslagerung und Abwicklung ganzer Abteilungen führen könnten – auf Kosten der Mitarbeiter*innen. Wer als Betriebsrat in dieser Situation seine Aufgaben gemäß Betriebsverfassungsgesetz ernst nimmt, gerät automatisch in Konflikt mit dem Management. Und wenn ein Unternehmer das nicht aushält, sondern “durchregieren“ will, eskalieren die Auseinandersetzungen.
Wie zielbewusst ProMinent die Eskalation vorantreibt, geht aus einem Analysepapier der Unternehmensberatung „Leonardo“ aus dem Jahr 2023 hervor, die der Konzern beauftragt hat. Allein die Beauftragung von „Leonardo“ spricht Bände. Die Unternehmensberatung wirbt auf ihrer Homepage mit Jack Welch, dem 2020 verstorbenen Vorstandsvorsitzende des US-Konzerns General Electric (GE). Viele Jahre lang war der Mischkonzern mit seinen in Hochzeiten 400.000 Mitarbeiter*innen ein Bollwerk der Gewerkschaften. Für Jack Welch standen Gewerkschaften der Gewinnmaximierung im Wege. Als er 1981 Vorstandsvorsitzender bei GE wurde, ließ er sie das spüren: GE verlagerte Zehntausende Arbeitsplätze ins Ausland, schloss gewerkschaftlich organisierte Werke im Norden und eröffnete sie im nicht gewerkschaftlich organisierten Süden der USA neu. Es war die Zeit der Massenentlassungen in der gesamten Industrie: Amerikanische Stahlunternehmen feuerten zwischen 1979 und 1984 vierzig Prozent ihrer Beschäftigten, die United Auto Workers verlor zwischen 1970 und 1985 die Hälfte ihrer Mitglieder. Bei GE arbeiten heute weniger als 200.000 Beschäftigte. Jack Welch war nicht der einzige „Rationalisierer“ und Gewerkschaftsfeind in den USA. Aber wie kein anderer Manager feierte er das inbrünstig und genehmigte sich selbst Einkünfte, die andere Manager vor Neid erblassen ließen. Heute ist er ein Star der Union-Busting Szene nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland.
Die Münchner Beratungsfirma Leonardo schlägt in ihrem Papier ProMinent vor, sich in der Produktion an Konzepten des Lean-Management wie bei Toyota zu orientieren, einschließlich der Prüfung, einzelne Produktionsbereiche wie Bearbeitung, Montage und Logistik auszulagern. Es gehe um „radikale Veränderungen und Neugestaltung von Prozessen und Systemen“. Die Rhetorik erinnert stark an die eines Jack Welch: „Grausamkeiten müssen schnell und in einem Schnitt erfolgen“, steht in den Leitsätzen, es dürften „keine Kompromisse“ gemacht werden. An mehreren Stellen ist die Rede davon, dass „der Mensch austauschbar“ sei – also die Mitarbeiter*innen.
Die Betriebsräte rund um den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden hatten sich kritisch mit dem Leonardo-Papier beschäftigt. Das war der Geschäftsführung offensichtlich ein Dorn im Auge. Es traf nicht nur den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden. Mitte des letzten Jahres musste ein weiterer Betriebsrat den Koffer packen: Er habe, so der Vorwurf, gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen. Als Mitglied des Wahlvorstandes hatte er vor den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 eine Wählerliste mit mehr als 500 Personeneinträgen an seine private Mailadresse weitergeleitet, damit er sie im Home-Office bearbeiten konnte. Daraufhin erhielt er wegen Datenschutzverstoßes eine fristlose Kündigung, der auch die bereits dem Arbeitgeber zugetane Betriebsratsmehrheit zustimmte und so die Kündigung wirksam machte. Bei der Kündigungsschutzklage, die das Betriebsratsmitglied anstrengte, entschied das Arbeitsgericht im Sinne des Arbeitgebers. Ein tatsächlicher Missbrauch der Daten – sprich Weitergabe an Dritte – war dem Gekündigten auch vom Arbeitsgericht nicht nachgewiesen worden. Er hatte 15 Jahre lang als technischer Redakteur bei ProMinent gearbeitet.
Nun soll noch ein Mitglied der arbeitnehmerorientierten Betriebsratsliste dran glauben. Der Gütetermin über seinen Lohnentzug wird am 14.3.24 vor dem Heidelberger Arbeitsgericht verhandelt. Die alte Abteilung, in der der nicht freigestellte Betriebsrat Wasseraufbereitungsanlagen montiert hatte, gibt es nicht mehr. Die Leitlinien der Unternehmensberatung Leonardo werden offensichtlich schon umgesetzt. Mittlerweile ist er in eine andere Abteilung versetzt worden. Der Betriebsrat, der seit 33 Jahren für den Konzern arbeitet, berichtet über Schikanen, die er bei seinen letzten Arbeitseinsätzen im Betrieb über sich ergehen lassen musste: Seit März 2023 habe er sich für seine Betriebsratstätigkeit jedes Mal an- und abmelden müssen, was vorher nie erforderlich gewesen sei. „Jegliche Stunden, die ich für Betriebsratstätigkeit aufgewendet habe, wurden mir von meinem Zeitkonto abgezogen, Sitzungen des gesamten Betriebsrates und Ausschüsse ausgenommen. Bis zu meiner Erkrankung waren es schon mehr als dreißig Stunden“, so der Betriebsrat.
Außerdem habe er während der Arbeit immer wieder den Eindruck gehabt, überwacht zu werden. Er vermutet, dass vor allem ein Ersatzmitglied der anderen Betriebsratsliste, das sich ihm gegenüber auffällig verhalten habe, auf ihn angesetzt gewesen sei, um sein Handeln bei der Arbeit zu beobachten und zu melden. Auch seine Leistungsbewertung sei heruntergesetzt worden. Auf Nachfrage, was er besser machen könne, wurde ihm keine Auskunft erteilt, die Vorwürfe gegen ihn seien völlig vage geblieben.
Work Watch, das Solidaritätskomitee „Gegen BR-Mobbing“ aus Mannheim, die Metallzeitung der IGM und einige Medien wie das Magazin Stern und die Tageszeitung Neues Deutschland haben mittlerweile über das Bossing bei ProMinent, dem Konzern des BDA-Präsidenten Rainer Dulger, berichtet. Knapp 3000 Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter*innen haben einen offenen Brief von Günter Wallraff unterschrieben, in dem nicht nur die Solidarität mit den Betroffenen des ProMinent-Betriebsratsmobbings ausgedrückt, sondern auch die Umsetzung eines Versprechens aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung eingefordert wird: Das kriminelle Betriebsratsmobbing nicht länger als Antragsdelikt mit einer kümmerlichen Strafandrohung von einem Jahr Haft, sondern als Offizialdelikt zu werten und die angedrohte Haftstrafe deutlich heraufzusetzen. Dann müssten die Staatsanwaltschaften von sich aus Ermittlungen betreiben, die sonst nur auf Antrag einer Gewerkschaft oder des Betriebsrates in Gang gesetzt und von diesen jederzeit zurückgezogen werden können. Trotz mehrfacher Anfragen signalisierte das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bisher keine Bereitschaft, die Unterschriften unter den Offenen Brief von Günter Wallraff bei einem öffentlichen Termin entgegenzunehmen. Zur Übergabe-Delegation sollen betroffene Betriebsräte, Mitarbeiter der IGM Zentrale in Frankfurt, Vertreter von Work Watch und dem Solidaritätskomitee „Gegen BR-Mobbing“ sowie Günter Wallraff und weitere Personen des öffentlichen Lebens gehören. Wie sie weiter mit dieser Situation umgehen werden, erfahren sie demnächst auf dem Work-Watch-Blog.